COMOUT – Infos zu LGBTIQA+ und Vielfalt

Schön, dass du uns aus Interesse an Vielfalt oder nach einem COMOUT Workshop besuchst. Auf dieser Seite haben wir die wichtigsten Informationen zu sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität für dich zusammengefasst. Ausserdem findest du Links zu weiterführenden Angeboten. Wenn du Fragen hast, darfst du uns gerne kontaktieren. Möchtest du einen COMOUT Workshop buchen oder mehr über unser Schulprojekt erfahren? Hier findest du alle Infos zu COMOUT.


Begriffe

LGBTIQA+: Definition

Die Vielfalt an sexuellen Orientierungen und Geschlechtsidentitäten ist gross. Diese Vielfalt wird mit Kürzeln wie «LGBT», «LGBTI» oder «LGBTIQA+» beschrieben. LGBT ist eine aus dem englischen Sprachraum kommende Abkürzung für Lesbian, Gay, Bisexual und Transgender – also Lesben, Schwule, Bisexuelle und trans Menschen. Es geht einerseits um die sexuelle Orientierung (LGB), anderseits um die Geschlechtsidentität (T). Heute wird der Term häufig durch IQA+ erweitert, was für «intergeschlechtlich», «queer» und «asexual» steht. Durch das Plus sind alle geschlechtlichen Identitäten und sexuellen Orientierungen inkludiert. Bei Transgender und auch Intergeschlechtlichkeit handelt es sich um eine Frage der Geschlechtsidentität bzw. die körperliche Ebene und nicht um eine sexuelle Orientierung. Trans Menschen können sowohl eine heterosexuelle als auch eine bi- oder homosexuelle Orientierung haben. In jüngerer Zeit wird auch das aus dem englischen Sprachraum stammende «queer» (dt. «seltsam» oder «sonderbar») als positives Synonym für LGBTIQA+ verwendet.


Vielfalt – mittendrin

Zwischen drei und zehn Prozent der Schweizer Bevölkerung – in der Stadt St.Gallen sind das zwischen 2200 und 7500 Personen – sind lesbisch, schwul, bisexuell und/oder trans. Sie leben mittendrin: in Schulen, im Arbeitsleben, in Vereinen und Jugendgruppen, in Religionsgemeinschaften. Dadurch wird unsere Gesellschaft bunt und vielfältig.

Leider kommt es auch heute immer wieder vor, das LGBTIQ-Menschen verbal oder körperlich angegriffen werden. Das wird Homophobie oder Queerfreindlichkeit genannt. Falls auch du solche Übergriffe oder Hate Crimes (= Hassverbrechen) erlebst, kannst du diese hier melden.

 

Wen liebe ich?

Menschen entscheiden nicht darüber, in welchen Menschen sie sich verlieben. Sie verlieben sich einfach. Eine klare Grenze zwischen lesbisch, schwul, bi- oder heterosexuell gibt es nicht. Je nachdem brauchst du Mut, um zu deinen Gefühlen zu stehen. Ob lesbisch, schwul, bi- oder heterosexuell: Eine Beziehung mit einem anderen Menschen ist schön, kann aber auch herausfordernd und schwierig sein. Da spielt die sexuelle Orientierung keine Rolle.

 

Coming-out

Coming-out heisst «zu sich selber stehen», «sich nicht länger verstecken» – weder vor dir noch vor anderen Menschen. Ein Coming-out kann je nach Person unterschiedlich ablaufen. Wenn du in deinen Gefühlen unsicher bist («Wer bin ich?» oder «Auf wen stehe ich?»), ist das okay. Es kann dir helfen, mit einer vertrauten Person zu sprechen oder dich bei uns beraten zu lassen.

Wenn du dich outest, dann möchtest du, dass …

  • … dich dein Umfeld ernst nimmt.
  • … dir deine Mitmenschen mit Verständnis begegnen.
  • … die Person es für sich behält, bei der du dich outest.
  • … du unterstützt wirst und jemand bei Bedarf Hilfe holt.
  • … dass die Vertrauensperson weiterhin ein*e gute*r Freund*in bleibt.

Hast du weitere Fragen?

Dann freuen wir uns über deine Nachricht per Mail oder auf Social Media. Du kannst uns auch einfach anrufen.



Wohin du dich wenden kannst

 

  • Fachstelle für Aids- und Sexualfragen: Beratungen zum Coming-out und zur sexuellen Gesundheit: www.ahsga.ch.
  • LGBT Helpline: Meldestelle für Diskriminierung und homo-/transphoberansphobe Gewalt: 0800 133 133 / hello@lgbt-helpline.ch / www.lgbt-helpline.ch.
  • Dr. Gay: Informationsplattform zum Safer Sex für schwule, bi und queere Männer: www.drgay.ch.
  • Milchjugend: Grösste queere Jugendorganisation der Schweiz für lesbische, schwule, bi, trans, intergeschlechtliche und asexuelle/aromantische Jugendliche und für alle dazwischen und ausserhalb: www.milchjugend.ch.
  • otherside, die lokale queere Gruppe für St.Gallen und Umgebung.
  • du-bist-du: Peer-to-Peer Beratung für Jugendliche von Jugendlichen: www.du-bist-du.ch.
  • TGNS: für trans Jugendliche/Menschen und deren Eltern: www.tgns.ch.
  • 147: rund um die Uhr Beratung und Hilfe für Jugendliche: Telefon 147 oder www.147.ch.

Schulprojekt COMOUT

Schulprojekt COMOUT

Mit unserer Arbeit an Schulen machen wir die Vielfalt an sexuellen Orientierungen und Geschlechtsidentitäten sichtbar und setzen so ein Zeichen für Akzeptanz. Homo- und/oder bisexuelle Freelancer*innen des Schulprojekts COMOUT besuchen Schulklassen oder Jugendgruppen.

Bei diesen Begegnungen geht es zum einen um grundlegende Wissensvermittlung im Bereich der sexuellen und geschlechtlichen Vielfalt. Zum anderen steht vor allem die persönliche Begegnung mit einer homo- oder bisexuellen Person im Fokus.

Die Schüler*innen erfahren durch das autobiografische Erzählen der Freelancer*innen, wie deren Coming-out abgelaufen ist, welche Schwierigkeiten damit verbunden waren und auch, was sich dadurch im Leben dieser Person verändert hat.

Das Schulprojekt COMOUT verbindet sachliches Grundlagenwissen mit der emotionalen Seite persönlicher Coming-out-Geschichten. Dazu kommen verschiedene didaktische Herangehensweisen zum Einsatz.


Ziele des Schulprojekts

Die Schule kann ein diskriminierender und damit prägender Ort für junge LGBTIQA+ Menschen sein. Denn zusätzlich zur alterstypischen Identitätsentwicklung müssen sie sich mit dem Thema der sexuellen Orientierung/Geschlechtsidentität und dem Coming-out auseinandersetzen.

Dieser Prozess ist oft mit Angst vor vermeintlicher oder tatsächlicher Ablehnung, Diskriminierung und Gewalt verbunden. Junge LGBTIQA+ Menschen fühlen sich in dieser Entwicklungsphase häufig allein gelassen. Um die mentale Gesundheit betroffener Schüler*innen zu schützen und Jugendliche im Allgemeinen zu sensibilisieren, ist die Schule eine prädestinierte Umgebung für Präventionsmassnahmen. Das Schulprojekt COMOUT fördert eine persönliche Auseinandersetzung der Schüler*innen mit dem Thema der sexuellen und geschlechtlichen Vielfalt und trägt somit zu einem besseren Verständnis für verschiedene sexuelle Orientierungen und Geschlechtsidentitäten bei.

Mit den Schulbesuchen verfolgen wir konkret diese Ziele:

  • Thematisieren von Klischees, Geschlechterrollen und Geschlechtsstereotypen
  • Auseinandersetzen mit Vorurteilen und Anregen zur Reflexion
  • Ermöglichen von Einblicken in queere Lebenswelten
  • Fördern eines Verständnisses für ein Coming-out und die damit verbundenen Schwierigkeiten und Gefühle sowie die Chancen
  • Schaffen eines Bewusstseins für das Reden über die Sexualität ganz allgemein und über die Vielfalt im Besonderen
  • Beantworten von Fragen der Schüler*innen in einer offenen Weise und respektvollen Atmosphäre

Informationen zum Angebot

Aktuell leisten rund ein Dutzend bi- oder homosexuelle Menschen im Alter zwischen 20 und 40 Jahren jährlich rund 150 COMOUT-Einsätze in den Kantonen St.Gallen und beiden Appenzell. Nachfolgend erhalten Sie Informationen zu den Rahmenbedingungen für unsere Schulbesuche.

Grundsätzliches

Lesbische oder bisexuelle Frauen und schwule oder bisexuelle Männer besuchen Schulklassen in den Kantonen St.Gallen und Appenzell. Sie gestalten im Zweierteam eine 90-minütige Unterrichtseinheit zur Vielfalt in sexuellen Orientierungen und Geschlechtsidentitäten und zu ihrem Coming-out. So fördern sie eine persönliche Auseinandersetzung der Schüler*innen mit dem Thema.

Dazu gibt es verschiedene Methoden und Spiele. Die gestaltete Unterrichtseinheit wird teilweise in der gesamten Klasse durchgeführt. Im Zentrum steht die Gleichwertigkeit verschiedener Ausprägungen sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität. Bei den Einsätzen ist die Lehrperson grundsätzlich nicht anwesend.

Zielgruppen

Die Zielgruppe des Projekts sind vor allem Jugendliche der Volksschule ab der ersten Oberstufe und junge Erwachsene in Berufsschulen, Kantonsschulen oder Jugendtreffs. Bei den jüngeren Schüler*innen wird das Thema Vielfalt nicht im Rahmen des COMOUT-Projekts, sondern im Angebot der Sexualpädagogik stufengerecht thematisiert.

Das Schulprojekt COMOUT spricht auch Lehrpersonen, Schulsozialarbeitende und Sozialpädagog*innen in entsprechenden Weiterbildungen an. Für folgende Gruppen können unsere Schulbesuche gebucht werden:

  • Klassen der Volksschulen (ab 1. Oberstufe), Kantonsschulen, Berufsschulen
  • Vereine, Jugendtreffs (ab 12 Jahren)
  • Aus- und Weiterbildungen von Lehrpersonen, Schulsozialarbeitenden und Sozialpädagog*innen

Ablauf

Ein Besuch kann aus den folgenden Modulen bestehen:

  • Spielerische Einführung ins Thema
  • Infoblock: Begriffe, Fakten, Zahlen, Rechtliches, Gesellschaftliches
  • Coming-out-Geschichten
  • Persönliche Frage- und Diskussionsrunde (in geschlechtergetrennten Gruppen)

Unsere Freelancer*innen stellen aus den vorhandenen Modulen ein für die Zielgruppe und den Rahmen passendes Programm zusammen.

Organisation

Die Fachstelle für Aids- und Sexualfragen übernimmt die Planung, Organisation und Kommunikation rund um die Einsätze. Wir empfehlen Ihnen eine frühzeitige Kontaktaufnahme (spätestens vier Wochen vor dem geplanten Einsatz). Die Veranstaltung findet im Schulzimmer oder Vereinslokal statt.

Kosten

Die Schulen oder Vereine beteiligen sich an den Kosten für einen COMOUT-Schulbesuch. Die Ansätze für einen Einsatz berechnen sich wie folgt:

  • 90 Minuten pro Freelancer*in Fr. 130.–, also total Fr. 260.- für den Standardworkshop (zzgl. Fahrspesen, ohne Ermässigung)
Möchten Sie das Schulprojekt COMOUT buchen?

Dann freuen wir uns über Ihre Nachricht oder Ihren Anruf. Gemeinsam klären wir einen möglichen Termin sowie die  Rahmenbedingungen ab.


Medienberichte, Links und Informationsmaterialien

Medienberichte

Unser ehemaliger Freelancer Markus Stehle (links im Video) berichtet über das Schulprojekt und seine Erfahrung im Video-Interview  (09/2015)

Informationsmaterialien

Hier finden Sie weitere Informationsmaterialien rund um das Projekt COMOUT.

  • Das Karten-Set «Coming-out» beinhaltet Informationen zu sexuellen Orientierungen, zu Geschlechtsidentitäten und zum Coming-out. Das Set kann hier kostenlos heruntergeladen oder in gedruckter Form gratis bestellt werden.
  • DIVERSITY EXISTS ist ein Schweizer Kurzfilm. Er thematisiert die Schwierigkeiten in der Schule bei einem Coming-out. Dazugehörige Unterrichtsmaterialien erleichtern die Einbettung in den Schulunterricht.

Qualität und Partnerschaften

Die Workshops von COMOUT orientieren sich an den Kompetenzen zu sexueller und geschlechtlicher Vielfalt gemäss Lehrplan 21. Zudem entsprechen die Schulbesuche dem Code of Conduct des Projekts Lehrplan Q

COMOUT ist in den Kantonen St.Gallen und Appenzell tätig. Für Schulbesuche in den anderen Regionen sind folgende Organisationen zuständig:

  • In den Kantonen Basel-Stadt und Basel-Landschaft ist der Verein queeres ah&oh aktiv. 
  • In den anderen deutschsprachigen Kantonen ist der Verein «ABQ» aktiv.

COMOUT ist Mitglied bei LehrplanQ. Dieses nationale Projekt strebt an, die Themen LGBTQ+ in der Schule und eine LGBTQ+ sensibilisierte Sexualaufklärung auf allen relevanten Ebenen zu verankern. Im Rahmen des Projekts werden Schulprojekte mit professionalisierten Aus- und Weiterbildungen, gemeinsamen Unterrichtsmaterialien und neuen Prozessen der Qualitätssicherung gestärkt.

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Weitere Angebote für Volks-, Berufs- und weiterführende Schulen sowie Kitas und Horte

Sexualpädagogisches Wissen und Unterrichtsmaterialien

Homosexualität in der Gesellschaft: Scheintoleranz und Ausgrenzung

Coming-out-Beratung: offenes Ohr für Männer, die Männer lieben.

29. Mai 2017

Jürg Bläuer ist MSM-Verantwortlicher der Fachstelle für Aids- und Sexualfragen und hat ein offenes Ohr für Männer, die heimlich Männer lieben. Im Interview erzählt er über das Leid der Männer, den Schmerz der Frauen und eine immer noch konservative Gesellschaft.

Interview: Susanne Holz
Beitragsbild: pixabay.com

Homosexualität in der Gesellschaft: Scheintoleranz und Ausgrenzung

Homosexualität in der Gesellschaft: Nach wie vor leiden bi- und homosexuelle Männer unter Scheintoleranz und Ausgrenzung.

Jürg Bläuer ist als MSM-Verantwortlicher (MSM = Männer, die auf Männer stehen) angestellt von drei kantonalen Fachstellen im Bereich sexuelle Gesundheit – dies in St.Gallen (50 %), Luzern (10 %) und Schwyz (10 %). In St.Gallen leitet der frühere Theologe, Gymnasiallehrer und Kulturschaffende auch das Schulprojekt «Comout». Jürg Bläuer berät im Themenbereich Homo- und Bisexualität.

Jürg Bläuer, wie sieht Ihre Arbeit als MSM-Verantwortlicher aus?
Ich berate betroffene Männer, Jugendliche, aber auch Lehrpersonen, die ja immer wieder mit betroffenen Jugendlichen zu tun haben. Ich informiere Schulen genauso wie Sozialarbeitende oder Psychologen. Was ich noch gerne erklären möchte: MSM ist eigentlich ein epidemiologischer Begriff, der ganz wertneutral «Männer, die Sex mit Männern haben» meint. Er umfasst also geoutete Homosexuelle genauso wie Bisexuelle und solche, die sich nicht als schwul bezeichnen und trotzdem Sex mit Männern haben. Wird der Begriff hauptsächlich für nicht geoutete Männer verwendet, ist das im Prinzip falsch. Es ist bezeichnend, dass es kein Wort für Männer gibt, die nicht offen homosexuell sind – etwas Unsichtbares wird nicht benannt.

Was unterscheidet denn eigentlich einen bisexuellen Mann von jenem, der mit einer Frau zusammen ist, aber heimlich Sex mit Männern hat?
Nicht so viel, würde ich sagen. Beides ist gesellschaftlich nicht anerkannt. Unter den sogenannten MSM gibt es sowohl Bisexuelle als auch Homosexuelle, die geheiratet haben, um der Konvention zu folgen. So oder so, die Betroffenen leiden, weil sie ein Tabu leben.

Wie viele Männer haben Sex mit anderen Männern?
Wir gehen von 5 bis 10 Prozent der männlichen sexuell aktiven Bevölkerung aus. Regelmässig aktive MSM gibt es in der Schweiz wohl 80’000.

Welche Probleme und Sorgen haben diese Männer?
Sie leiden generell unter der Stigmatisierung der Homosexualität in der Gesellschaft, unter Scheintoleranz und Ausgrenzung – immer noch, hier und weltweit. Verheiratete MSM leiden zusätzlich unter der belasteten Ehesituation, dem zusätzlichen Tabu … Homosexuelle sind zudem eine sehr heterogene Gruppe. Teilweise werden mit Frauen verheiratete MSM auch unter anderen Homosexuellen ausgegrenzt oder grenzen sich selber aus: Sie trauen sich nicht an Treffs. Diese Männer haben es schwer im Vergleich zu anderen Homosexuellen, weil sie nur ihre sexuellen Wünsche befriedigen, sonst aber isoliert sind. In meiner Beratung teilen die meisten MSM die gleichen Sorgen: Sie leben auf dem Land mit wenig Möglichkeit zur Offenheit.

Wie schwer fällt es den Männern, Beratung in Anspruch zu nehmen?
Speziell für verheiratete MSM gilt: Ist das Eis einmal gebrochen, schätzen sie den Kontakt zu mir als Fachperson, da sie sonst häufig nur auf Sexualität basierte Kontakte haben. Ich bin dann einer der Ersten, der sie akzeptiert, wie sie sind. Sie können Druck ablassen, ihre Situation schildern, sich angenommen fühlen. Die Beratung ist ein Baustein in einem Gefüge kleiner Schritte. Sie ist auch wichtig, weil sie dazu führen kann, sich auf Krankheiten testen zu lassen und medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen, was bei geouteten Homosexuellen zum guten Ton gehört. Führen MSM ein geheimes Sexualleben, entfällt die Prävention oft. Hier sind auch die Hausärzte gefordert, ein offenes Ohr zu haben.

An wen können sich die betroffenen Partnerinnen wenden, für die ja auch eine Welt zusammenbricht?
Auch betroffene Partnerinnen können sich an die Fachstellen für sexuelle Gesundheit wenden. An die Paar- oder Eheberatung – hier verfüge ich über gute Kontakte zu Fachpersonen. Dann gibt es eine Organisation namens Hetera, die wohl gerade einen Dienstagsklub zum Thema «Frauen von schwulen Männern» plant. Einzelne Frauen wissen seit Beginn der Beziehung von der Homosexualität ihres Partners, andere schauen weg und leiden still. Manche arrangieren sich, andere haben keine Ahnung von der Neigung ihres Mannes. Für alle betroffenen Frauen ist es eine grosse Herausforderung.

Worin sehen Sie die Lösung für diese Männer, Frauen, Paare?
Es braucht eine Begleitung durch Ehe- und Familienberatungen, psychologische Unterstützung aller Beteiligten, Klärung der sexuellen Orientierung. Es braucht die Enttabuisierung des Themas. Nur wenn die Gesellschaft tolerant ist und die Menschen ehrlich zu sich selber sind, gehen junge homosexuelle Männer und Frauen keine Ehe mehr ein in der Annahme, «schon noch auf die richtige Bahn zu kommen», oder beugen sich nicht mehr dem religiösem Druck, um den Schein zu wahren. Junge Menschen müssen sich mit ihrer sexuellen Orientierung beschäftigen können. Sie haben nach wie vor Angst, sich zu outen. Unsere Gesellschaft ist immer noch konservativ – das wurde mir bei der Leitung des Schulprojekts «Comout» bewusst. Es ist noch ein weiter Weg bis zur vollständigen Akzeptanz von Homosexualität.

Wie finden Betroffene zu Ihnen?
Oft übers Internet, teils erhalte ich telefonische Anfragen via Homepage.

Dieses Interview erschien in der Ostschweiz am Sonntag, 28. Mai 2017, und in der Zentralschweiz am Sonntag, 26. März 2017.

Beratung zum Coming-out und zur Männergesundheit über E-Mail, Telefon oder Chat

Bürozeiten
Mo, Mi, Do: 9–12Uhr | 14–17 Uhr
Di: 9–12Uhr
Fr: geschlossen

info@ahsga.ch | 071 223 68 08 | WhatsApp

Homosexualität in der Gesellschaft: Scheintoleranz und Ausgrenzung

Coming-out-Beratung: offenes Ohr für Männer, die Männer lieben.

29. Mai 2017

Jürg Bläuer ist MSM-Verantwortlicher der Fachstelle für Aids- und Sexualfragen und hat ein offenes Ohr für Männer, die heimlich Männer lieben. Im Interview erzählt er über das Leid der Männer, den Schmerz der Frauen und eine immer noch konservative Gesellschaft.

Interview: Susanne Holz
Beitragsbild: pixabay.com

Homosexualität in der Gesellschaft: Scheintoleranz und Ausgrenzung

Homosexualität in der Gesellschaft: Nach wie vor leiden bi- und homosexuelle Männer unter Scheintoleranz und Ausgrenzung.

Jürg Bläuer ist als MSM-Verantwortlicher (MSM = Männer, die auf Männer stehen) angestellt von drei kantonalen Fachstellen im Bereich sexuelle Gesundheit – dies in St.Gallen (50 %), Luzern (10 %) und Schwyz (10 %). In St.Gallen leitet der frühere Theologe, Gymnasiallehrer und Kulturschaffende auch das Schulprojekt «Comout». Jürg Bläuer berät im Themenbereich Homo- und Bisexualität.

Jürg Bläuer, wie sieht Ihre Arbeit als MSM-Verantwortlicher aus?
Ich berate betroffene Männer, Jugendliche, aber auch Lehrpersonen, die ja immer wieder mit betroffenen Jugendlichen zu tun haben. Ich informiere Schulen genauso wie Sozialarbeitende oder Psychologen. Was ich noch gerne erklären möchte: MSM ist eigentlich ein epidemiologischer Begriff, der ganz wertneutral «Männer, die Sex mit Männern haben» meint. Er umfasst also geoutete Homosexuelle genauso wie Bisexuelle und solche, die sich nicht als schwul bezeichnen und trotzdem Sex mit Männern haben. Wird der Begriff hauptsächlich für nicht geoutete Männer verwendet, ist das im Prinzip falsch. Es ist bezeichnend, dass es kein Wort für Männer gibt, die nicht offen homosexuell sind – etwas Unsichtbares wird nicht benannt.

Was unterscheidet denn eigentlich einen bisexuellen Mann von jenem, der mit einer Frau zusammen ist, aber heimlich Sex mit Männern hat?
Nicht so viel, würde ich sagen. Beides ist gesellschaftlich nicht anerkannt. Unter den sogenannten MSM gibt es sowohl Bisexuelle als auch Homosexuelle, die geheiratet haben, um der Konvention zu folgen. So oder so, die Betroffenen leiden, weil sie ein Tabu leben.

Wie viele Männer haben Sex mit anderen Männern?
Wir gehen von 5 bis 10 Prozent der männlichen sexuell aktiven Bevölkerung aus. Regelmässig aktive MSM gibt es in der Schweiz wohl 80’000.

Welche Probleme und Sorgen haben diese Männer?
Sie leiden generell unter der Stigmatisierung der Homosexualität in der Gesellschaft, unter Scheintoleranz und Ausgrenzung – immer noch, hier und weltweit. Verheiratete MSM leiden zusätzlich unter der belasteten Ehesituation, dem zusätzlichen Tabu … Homosexuelle sind zudem eine sehr heterogene Gruppe. Teilweise werden mit Frauen verheiratete MSM auch unter anderen Homosexuellen ausgegrenzt oder grenzen sich selber aus: Sie trauen sich nicht an Treffs. Diese Männer haben es schwer im Vergleich zu anderen Homosexuellen, weil sie nur ihre sexuellen Wünsche befriedigen, sonst aber isoliert sind. In meiner Beratung teilen die meisten MSM die gleichen Sorgen: Sie leben auf dem Land mit wenig Möglichkeit zur Offenheit.

Wie schwer fällt es den Männern, Beratung in Anspruch zu nehmen?
Speziell für verheiratete MSM gilt: Ist das Eis einmal gebrochen, schätzen sie den Kontakt zu mir als Fachperson, da sie sonst häufig nur auf Sexualität basierte Kontakte haben. Ich bin dann einer der Ersten, der sie akzeptiert, wie sie sind. Sie können Druck ablassen, ihre Situation schildern, sich angenommen fühlen. Die Beratung ist ein Baustein in einem Gefüge kleiner Schritte. Sie ist auch wichtig, weil sie dazu führen kann, sich auf Krankheiten testen zu lassen und medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen, was bei geouteten Homosexuellen zum guten Ton gehört. Führen MSM ein geheimes Sexualleben, entfällt die Prävention oft. Hier sind auch die Hausärzte gefordert, ein offenes Ohr zu haben.

An wen können sich die betroffenen Partnerinnen wenden, für die ja auch eine Welt zusammenbricht?
Auch betroffene Partnerinnen können sich an die Fachstellen für sexuelle Gesundheit wenden. An die Paar- oder Eheberatung – hier verfüge ich über gute Kontakte zu Fachpersonen. Dann gibt es eine Organisation namens Hetera, die wohl gerade einen Dienstagsklub zum Thema «Frauen von schwulen Männern» plant. Einzelne Frauen wissen seit Beginn der Beziehung von der Homosexualität ihres Partners, andere schauen weg und leiden still. Manche arrangieren sich, andere haben keine Ahnung von der Neigung ihres Mannes. Für alle betroffenen Frauen ist es eine grosse Herausforderung.

Worin sehen Sie die Lösung für diese Männer, Frauen, Paare?
Es braucht eine Begleitung durch Ehe- und Familienberatungen, psychologische Unterstützung aller Beteiligten, Klärung der sexuellen Orientierung. Es braucht die Enttabuisierung des Themas. Nur wenn die Gesellschaft tolerant ist und die Menschen ehrlich zu sich selber sind, gehen junge homosexuelle Männer und Frauen keine Ehe mehr ein in der Annahme, «schon noch auf die richtige Bahn zu kommen», oder beugen sich nicht mehr dem religiösem Druck, um den Schein zu wahren. Junge Menschen müssen sich mit ihrer sexuellen Orientierung beschäftigen können. Sie haben nach wie vor Angst, sich zu outen. Unsere Gesellschaft ist immer noch konservativ – das wurde mir bei der Leitung des Schulprojekts «Comout» bewusst. Es ist noch ein weiter Weg bis zur vollständigen Akzeptanz von Homosexualität.

Wie finden Betroffene zu Ihnen?
Oft übers Internet, teils erhalte ich telefonische Anfragen via Homepage.

Dieses Interview erschien in der Ostschweiz am Sonntag, 28. Mai 2017, und in der Zentralschweiz am Sonntag, 26. März 2017.

Homosexualität in der Gesellschaft: Scheintoleranz und Ausgrenzung

Coming-out-Beratung: offenes Ohr für Männer, die Männer lieben.

29. Mai 2017

Jürg Bläuer ist MSM-Verantwortlicher der Fachstelle für Aids- und Sexualfragen und hat ein offenes Ohr für Männer, die heimlich Männer lieben. Im Interview erzählt er über das Leid der Männer, den Schmerz der Frauen und eine immer noch konservative Gesellschaft.

Interview: Susanne Holz
Beitragsbild: pixabay.com

Homosexualität in der Gesellschaft: Scheintoleranz und Ausgrenzung

Homosexualität in der Gesellschaft: Nach wie vor leiden bi- und homosexuelle Männer unter Scheintoleranz und Ausgrenzung.

Jürg Bläuer ist als MSM-Verantwortlicher (MSM = Männer, die auf Männer stehen) angestellt von drei kantonalen Fachstellen im Bereich sexuelle Gesundheit – dies in St.Gallen (50 %), Luzern (10 %) und Schwyz (10 %). In St.Gallen leitet der frühere Theologe, Gymnasiallehrer und Kulturschaffende auch das Schulprojekt «Comout». Jürg Bläuer berät im Themenbereich Homo- und Bisexualität.

Jürg Bläuer, wie sieht Ihre Arbeit als MSM-Verantwortlicher aus?
Ich berate betroffene Männer, Jugendliche, aber auch Lehrpersonen, die ja immer wieder mit betroffenen Jugendlichen zu tun haben. Ich informiere Schulen genauso wie Sozialarbeitende oder Psychologen. Was ich noch gerne erklären möchte: MSM ist eigentlich ein epidemiologischer Begriff, der ganz wertneutral «Männer, die Sex mit Männern haben» meint. Er umfasst also geoutete Homosexuelle genauso wie Bisexuelle und solche, die sich nicht als schwul bezeichnen und trotzdem Sex mit Männern haben. Wird der Begriff hauptsächlich für nicht geoutete Männer verwendet, ist das im Prinzip falsch. Es ist bezeichnend, dass es kein Wort für Männer gibt, die nicht offen homosexuell sind – etwas Unsichtbares wird nicht benannt.

Was unterscheidet denn eigentlich einen bisexuellen Mann von jenem, der mit einer Frau zusammen ist, aber heimlich Sex mit Männern hat?
Nicht so viel, würde ich sagen. Beides ist gesellschaftlich nicht anerkannt. Unter den sogenannten MSM gibt es sowohl Bisexuelle als auch Homosexuelle, die geheiratet haben, um der Konvention zu folgen. So oder so, die Betroffenen leiden, weil sie ein Tabu leben.

Wie viele Männer haben Sex mit anderen Männern?
Wir gehen von 5 bis 10 Prozent der männlichen sexuell aktiven Bevölkerung aus. Regelmässig aktive MSM gibt es in der Schweiz wohl 80’000.

Welche Probleme und Sorgen haben diese Männer?
Sie leiden generell unter der Stigmatisierung der Homosexualität in der Gesellschaft, unter Scheintoleranz und Ausgrenzung – immer noch, hier und weltweit. Verheiratete MSM leiden zusätzlich unter der belasteten Ehesituation, dem zusätzlichen Tabu … Homosexuelle sind zudem eine sehr heterogene Gruppe. Teilweise werden mit Frauen verheiratete MSM auch unter anderen Homosexuellen ausgegrenzt oder grenzen sich selber aus: Sie trauen sich nicht an Treffs. Diese Männer haben es schwer im Vergleich zu anderen Homosexuellen, weil sie nur ihre sexuellen Wünsche befriedigen, sonst aber isoliert sind. In meiner Beratung teilen die meisten MSM die gleichen Sorgen: Sie leben auf dem Land mit wenig Möglichkeit zur Offenheit.

Wie schwer fällt es den Männern, Beratung in Anspruch zu nehmen?
Speziell für verheiratete MSM gilt: Ist das Eis einmal gebrochen, schätzen sie den Kontakt zu mir als Fachperson, da sie sonst häufig nur auf Sexualität basierte Kontakte haben. Ich bin dann einer der Ersten, der sie akzeptiert, wie sie sind. Sie können Druck ablassen, ihre Situation schildern, sich angenommen fühlen. Die Beratung ist ein Baustein in einem Gefüge kleiner Schritte. Sie ist auch wichtig, weil sie dazu führen kann, sich auf Krankheiten testen zu lassen und medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen, was bei geouteten Homosexuellen zum guten Ton gehört. Führen MSM ein geheimes Sexualleben, entfällt die Prävention oft. Hier sind auch die Hausärzte gefordert, ein offenes Ohr zu haben.

An wen können sich die betroffenen Partnerinnen wenden, für die ja auch eine Welt zusammenbricht?
Auch betroffene Partnerinnen können sich an die Fachstellen für sexuelle Gesundheit wenden. An die Paar- oder Eheberatung – hier verfüge ich über gute Kontakte zu Fachpersonen. Dann gibt es eine Organisation namens Hetera, die wohl gerade einen Dienstagsklub zum Thema «Frauen von schwulen Männern» plant. Einzelne Frauen wissen seit Beginn der Beziehung von der Homosexualität ihres Partners, andere schauen weg und leiden still. Manche arrangieren sich, andere haben keine Ahnung von der Neigung ihres Mannes. Für alle betroffenen Frauen ist es eine grosse Herausforderung.

Worin sehen Sie die Lösung für diese Männer, Frauen, Paare?
Es braucht eine Begleitung durch Ehe- und Familienberatungen, psychologische Unterstützung aller Beteiligten, Klärung der sexuellen Orientierung. Es braucht die Enttabuisierung des Themas. Nur wenn die Gesellschaft tolerant ist und die Menschen ehrlich zu sich selber sind, gehen junge homosexuelle Männer und Frauen keine Ehe mehr ein in der Annahme, «schon noch auf die richtige Bahn zu kommen», oder beugen sich nicht mehr dem religiösem Druck, um den Schein zu wahren. Junge Menschen müssen sich mit ihrer sexuellen Orientierung beschäftigen können. Sie haben nach wie vor Angst, sich zu outen. Unsere Gesellschaft ist immer noch konservativ – das wurde mir bei der Leitung des Schulprojekts «Comout» bewusst. Es ist noch ein weiter Weg bis zur vollständigen Akzeptanz von Homosexualität.

Wie finden Betroffene zu Ihnen?
Oft übers Internet, teils erhalte ich telefonische Anfragen via Homepage.

Dieses Interview erschien in der Ostschweiz am Sonntag, 28. Mai 2017, und in der Zentralschweiz am Sonntag, 26. März 2017.

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