Die Toilettenfrage ist das kleinste Problem

Transgender vor Hindernissen: Die Toilettenfrage ist dabei das kleinste Problem.

19. Juli 2016

Transgender treffen zusätzlich zur belastenden Identitätsfindung auch im Alltag auf Hindernisse. Neben Pöbeleien, Vorurteilen und Mobbing am Arbeitsplatz gibt es zahlreiche administrative Hürden zu überwinden.

Text: Aurelia Winter (erschienen in der Ostschweiz am Sonntag)
Beitragsbild: pixabay.com

Die Toilettenfrage ist das kleinste Problem

Transgender sehen sich täglich mit Hindernissen konfrontiert. Die Toilettenfrage ist dabei das kleinste Problem.

Die Pöbelei gegen einen Homosexuellen und eine Transfrau durch einen Betrunkenen, wie sie am Bahnhof Sargans letzte Woche geschehen sein soll, hat in der Transgender- und Homosexuellenszene für Aufruhr gesorgt. «Scheissschwuchteln», soll der Unbekannte gesagt haben, bevor er nach Aussage der Opfer die beiden tätlich angriff.

Derart offensichtliche Gewalt gegen homosexuelle und transidente Personen sei jedoch eher selten, sagt Myshelle Baeriswyl, Psychologin, Sexualpädagogin und Geschäftsleiterin von der St.Galler Fachstelle für Aids- und Sexualfragen. In der Regel geschehe die Ablehnung auf subtilere Weise. «Unsere Gesellschaft ist erzogen worden, binär zu denken. Es gibt nur männlich und weiblich. Davon Abweichendes ist erst einmal verpönt», sagt die Fachstellenleiterin. Dabei hätten es insbesondere Transgender oft ohne solche Vorfälle schon schwer genug. «Sich zu outen braucht Mut, denn die unmittelbaren Reaktionen und langfristigen Folgen dieses Schritts sind für viele Betroffene nicht abzuschätzen.» Die Fachstellenleiterin ist es gewohnt, mit Intoleranz, Diskriminierung und Ablehnung umzugehen. Sei dies durch zu Beratende an der Fachstelle oder aus eigener Erfahrung: Baeriswyl ist selber eine Transfrau.

Angst vor dem Coming-out

«Transidentität wird in unserer Gesellschaft noch immer tabuisiert», sagt Baeriswyl. Deshalb wüssten viele nicht damit umzugehen. Schüler beispielsweise würden es aus Angst vor Mobbing oder aus Sorge, als Sonderfall behandelt zu werden, vermeiden sich zu outen. «Auch in der Ostschweiz sind uns einige Fälle von Mobbing gegen LGBTI (siehe Erklärung unten) bekannt, die teils mit einem Schulwechsel geendet haben», sagt Baeriswyl. Um wenigstens der Homophobie entgegenzuwirken, leisten homosexuelle Personen im Projekt Comout der Fachstelle regelmässig Aufklärungsarbeit in Schulen. «Sie thematisieren mit Schülern in respektvoller Atmosphäre Geschlechterrollen und Vorurteile und gewähren Einblick in das Leben homosexueller Personen.» Damit solle das Verständnis für Coming-outs und die damit verbundenen Schwierigkeiten erhöht werden.

«Diskriminiert werden dafür, wer man ist, schädigt das Selbstbewusstsein. Nicht jeder ist mutig genug, gegen Pöbeleien zu kontern, wenn man sich, wie die meisten Transgender, sowieso schon selbst in Frage stellt», sagt Baeriswyl. Transgender machen 0,5 bis ein Prozent der Schweizer Bevölkerung aus. Vier von fünf Transgendern haben laut Statistik bereits mit Suizidgedanken gespielt.

Problem bei der Jobsuche

Neben der Selbstkritik treffe Transgender der wirtschaftliche Aspekt wohl am härtesten, so die Fachstellenleiterin. Über 20 Prozent der Transgender sind arbeitslos. «Fast jede transidente Person wurde mindestens einmal entlassen. Das gilt auch für Führungspositionen. Die Begründung ist natürlich immer eine andere. Einige kündigen auch selber wegen Mobbing.» Finde eine transidente Person danach einen neuen Job, sei es nicht selten nur eine Teilzeitstelle oder eine schlechter bezahlte Arbeit.

Schon als Baby fremdbestimmt

Auf nationaler Ebene wird versucht, der besonderen Situation von LGBTI Rechnung zu tragen. Das administrative Vorgehen zur Änderung eines Vornamens im Falle einer Geschlechtsänderung wurde bereits vereinfacht. Anfang Juli veröffentlichte der Bundesrat erstmals eine Stellungnahme zu einem Bericht der Nationalen Ethikkommission über den Umgang mit intersexuellen Menschen. Die Empfehlungen aus dem Bericht befinden sich laut Bundesrat fast alle in der Umsetzung oder sind bereits umgesetzt.

Gemäss Baeriswyl bleibt der Weg zu einer Gleichbehandlung von Transgendern dennoch steinig. «Das Geschlecht im Reisepass ändern zu lassen, ist nach wie vor ein demütigender Prozess.» Die Behörden verlangen den Nachweis der Sterilität durch Hormone oder Operation. Verheirateten Paaren droht unter Umständen eine gerichtliche Scheidung, oder die Ehe muss in eine eingetragene Partnerschaft umgewandelt werden. Zudem muss eine psychiatrische Fachperson die Transidentität von Antragstellenden bestätigen. Diese Fremdbestimmung erleben intersexuelle Menschen schon als Neugeborene, da direkt nach der Geburt eine Zwangsoperation stattfindet.

Die Hauptforderung der Transgender weltweit ist das Selbstbestimmungsrecht über das eigene Geschlecht. «Es gibt noch viele Hürden. Aufklärungsarbeit und Enttabuisierung tun not.»

Unisex-Klos für alle

In North Carolina gibt es ein neues Gesetz, das Leuten vorschreibt, welche öffentlichen Toiletten sie benutzen dürfen: nämlich nur diejenigen für das Geschlecht, das in ihrer Geburtsurkunde steht. Das empört viele Transfrauen und Transmänner. Die niederländische Stadt Utrecht setzt dagegen seit kurzem auf öffentliche sanitäre Anlagen mit geschlechtsneutraler Beschriftung.

«Auch die Stadt St.Gallen ist mit vielen Unisex-Anlagen ausgestattet», sagt Hansueli Rechsteiner, Leiter des städtischen Hochbauamts. Damit meint er die Hightech-Chromstahl-Einzelkabinen, die an verschiedenen Orten in der Stadt aufgestellt sind. Auch die konventionell getrennten WCs an der Bushaltestelle Rotmonten wurden in eine behindertengerechte und eine geschlechtsneutrale Einzelkabine umgebaut. Falls Renovationen anstünden, werde man weitere Unisex-Toiletten bauen, sagt der Chef des St.Galler Hochbauamts.

Geschlechtsneutrale Toiletten gibt es ansonsten vor allem in kleinen Bars, in welchen der Platz für getrennte Anlagen nicht ausreicht. Und auch in Zügen und Flugzeugen sind sie eine Selbstverständlichkeit. Das ist ganz im Sinne der Transgender-Personen. «Geschlechtsneutrale Toiletten tragen im Alltag zum Wohlbefinden vieler Transgender bei», sagt Myshelle Baeriswyl, Geschäftsleiterin der St.Galler Aids-Fachstelle.

Begriffe: Die richtigen Worte wählen
  • Transgender: Fühlen sich nicht dem bei der Geburt zugeordneten Geschlecht zugehörig. Transfrauen identifizieren sich als Frau, Transmänner als Mann.
  • Transvestit: Transgender, die zeitweise in der Rolle des anderen Geschlechts auftreten, doch meist in der Rolle ihres biologischen Geschlechts bleiben.
  • Transidentität, transident: Sagt nichts über sexuelle Orientierung, sondern über die Selbstwahrnehmung.
  • Intersexuelle Menschen: Sind mit einem Körper geboren, der keinem Geschlecht eindeutig zugeordnet werden kann.
  • LGBTI (Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender, Intersexual): Passen nicht in die Norm der Heterosexualität und des eindeutigen Zweigeschlechtersystems.

Die Toilettenfrage ist das kleinste Problem

Transgender vor Hindernissen: Die Toilettenfrage ist dabei das kleinste Problem.

19. Juli 2016

Transgender treffen zusätzlich zur belastenden Identitätsfindung auch im Alltag auf Hindernisse. Neben Pöbeleien, Vorurteilen und Mobbing am Arbeitsplatz gibt es zahlreiche administrative Hürden zu überwinden.

Text: Aurelia Winter (erschienen in der Ostschweiz am Sonntag)
Beitragsbild: pixabay.com

Die Toilettenfrage ist das kleinste Problem

Transgender sehen sich täglich mit Hindernissen konfrontiert. Die Toilettenfrage ist dabei das kleinste Problem.

Die Pöbelei gegen einen Homosexuellen und eine Transfrau durch einen Betrunkenen, wie sie am Bahnhof Sargans letzte Woche geschehen sein soll, hat in der Transgender- und Homosexuellenszene für Aufruhr gesorgt. «Scheissschwuchteln», soll der Unbekannte gesagt haben, bevor er nach Aussage der Opfer die beiden tätlich angriff.

Derart offensichtliche Gewalt gegen homosexuelle und transidente Personen sei jedoch eher selten, sagt Myshelle Baeriswyl, Psychologin, Sexualpädagogin und Geschäftsleiterin von der St.Galler Fachstelle für Aids- und Sexualfragen. In der Regel geschehe die Ablehnung auf subtilere Weise. «Unsere Gesellschaft ist erzogen worden, binär zu denken. Es gibt nur männlich und weiblich. Davon Abweichendes ist erst einmal verpönt», sagt die Fachstellenleiterin. Dabei hätten es insbesondere Transgender oft ohne solche Vorfälle schon schwer genug. «Sich zu outen braucht Mut, denn die unmittelbaren Reaktionen und langfristigen Folgen dieses Schritts sind für viele Betroffene nicht abzuschätzen.» Die Fachstellenleiterin ist es gewohnt, mit Intoleranz, Diskriminierung und Ablehnung umzugehen. Sei dies durch zu Beratende an der Fachstelle oder aus eigener Erfahrung: Baeriswyl ist selber eine Transfrau.

Angst vor dem Coming-out

«Transidentität wird in unserer Gesellschaft noch immer tabuisiert», sagt Baeriswyl. Deshalb wüssten viele nicht damit umzugehen. Schüler beispielsweise würden es aus Angst vor Mobbing oder aus Sorge, als Sonderfall behandelt zu werden, vermeiden sich zu outen. «Auch in der Ostschweiz sind uns einige Fälle von Mobbing gegen LGBTI (siehe Erklärung unten) bekannt, die teils mit einem Schulwechsel geendet haben», sagt Baeriswyl. Um wenigstens der Homophobie entgegenzuwirken, leisten homosexuelle Personen im Projekt Comout der Fachstelle regelmässig Aufklärungsarbeit in Schulen. «Sie thematisieren mit Schülern in respektvoller Atmosphäre Geschlechterrollen und Vorurteile und gewähren Einblick in das Leben homosexueller Personen.» Damit solle das Verständnis für Coming-outs und die damit verbundenen Schwierigkeiten erhöht werden.

«Diskriminiert werden dafür, wer man ist, schädigt das Selbstbewusstsein. Nicht jeder ist mutig genug, gegen Pöbeleien zu kontern, wenn man sich, wie die meisten Transgender, sowieso schon selbst in Frage stellt», sagt Baeriswyl. Transgender machen 0,5 bis ein Prozent der Schweizer Bevölkerung aus. Vier von fünf Transgendern haben laut Statistik bereits mit Suizidgedanken gespielt.

Problem bei der Jobsuche

Neben der Selbstkritik treffe Transgender der wirtschaftliche Aspekt wohl am härtesten, so die Fachstellenleiterin. Über 20 Prozent der Transgender sind arbeitslos. «Fast jede transidente Person wurde mindestens einmal entlassen. Das gilt auch für Führungspositionen. Die Begründung ist natürlich immer eine andere. Einige kündigen auch selber wegen Mobbing.» Finde eine transidente Person danach einen neuen Job, sei es nicht selten nur eine Teilzeitstelle oder eine schlechter bezahlte Arbeit.

Schon als Baby fremdbestimmt

Auf nationaler Ebene wird versucht, der besonderen Situation von LGBTI Rechnung zu tragen. Das administrative Vorgehen zur Änderung eines Vornamens im Falle einer Geschlechtsänderung wurde bereits vereinfacht. Anfang Juli veröffentlichte der Bundesrat erstmals eine Stellungnahme zu einem Bericht der Nationalen Ethikkommission über den Umgang mit intersexuellen Menschen. Die Empfehlungen aus dem Bericht befinden sich laut Bundesrat fast alle in der Umsetzung oder sind bereits umgesetzt.

Gemäss Baeriswyl bleibt der Weg zu einer Gleichbehandlung von Transgendern dennoch steinig. «Das Geschlecht im Reisepass ändern zu lassen, ist nach wie vor ein demütigender Prozess.» Die Behörden verlangen den Nachweis der Sterilität durch Hormone oder Operation. Verheirateten Paaren droht unter Umständen eine gerichtliche Scheidung, oder die Ehe muss in eine eingetragene Partnerschaft umgewandelt werden. Zudem muss eine psychiatrische Fachperson die Transidentität von Antragstellenden bestätigen. Diese Fremdbestimmung erleben intersexuelle Menschen schon als Neugeborene, da direkt nach der Geburt eine Zwangsoperation stattfindet.

Die Hauptforderung der Transgender weltweit ist das Selbstbestimmungsrecht über das eigene Geschlecht. «Es gibt noch viele Hürden. Aufklärungsarbeit und Enttabuisierung tun not.»

Unisex-Klos für alle

In North Carolina gibt es ein neues Gesetz, das Leuten vorschreibt, welche öffentlichen Toiletten sie benutzen dürfen: nämlich nur diejenigen für das Geschlecht, das in ihrer Geburtsurkunde steht. Das empört viele Transfrauen und Transmänner. Die niederländische Stadt Utrecht setzt dagegen seit kurzem auf öffentliche sanitäre Anlagen mit geschlechtsneutraler Beschriftung.

«Auch die Stadt St.Gallen ist mit vielen Unisex-Anlagen ausgestattet», sagt Hansueli Rechsteiner, Leiter des städtischen Hochbauamts. Damit meint er die Hightech-Chromstahl-Einzelkabinen, die an verschiedenen Orten in der Stadt aufgestellt sind. Auch die konventionell getrennten WCs an der Bushaltestelle Rotmonten wurden in eine behindertengerechte und eine geschlechtsneutrale Einzelkabine umgebaut. Falls Renovationen anstünden, werde man weitere Unisex-Toiletten bauen, sagt der Chef des St.Galler Hochbauamts.

Geschlechtsneutrale Toiletten gibt es ansonsten vor allem in kleinen Bars, in welchen der Platz für getrennte Anlagen nicht ausreicht. Und auch in Zügen und Flugzeugen sind sie eine Selbstverständlichkeit. Das ist ganz im Sinne der Transgender-Personen. «Geschlechtsneutrale Toiletten tragen im Alltag zum Wohlbefinden vieler Transgender bei», sagt Myshelle Baeriswyl, Geschäftsleiterin der St.Galler Aids-Fachstelle.

Begriffe: Die richtigen Worte wählen
  • Transgender: Fühlen sich nicht dem bei der Geburt zugeordneten Geschlecht zugehörig. Transfrauen identifizieren sich als Frau, Transmänner als Mann.
  • Transvestit: Transgender, die zeitweise in der Rolle des anderen Geschlechts auftreten, doch meist in der Rolle ihres biologischen Geschlechts bleiben.
  • Transidentität, transident: Sagt nichts über sexuelle Orientierung, sondern über die Selbstwahrnehmung.
  • Intersexuelle Menschen: Sind mit einem Körper geboren, der keinem Geschlecht eindeutig zugeordnet werden kann.
  • LGBTI (Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender, Intersexual): Passen nicht in die Norm der Heterosexualität und des eindeutigen Zweigeschlechtersystems.
Die Toilettenfrage ist das kleinste Problem

Transgender vor Hindernissen: Die Toilettenfrage ist dabei das kleinste Problem.

19. Juli 2016

Transgender treffen zusätzlich zur belastenden Identitätsfindung auch im Alltag auf Hindernisse. Neben Pöbeleien, Vorurteilen und Mobbing am Arbeitsplatz gibt es zahlreiche administrative Hürden zu überwinden.

Text: Aurelia Winter (erschienen in der Ostschweiz am Sonntag)
Beitragsbild: pixabay.com

Die Toilettenfrage ist das kleinste Problem

Transgender sehen sich täglich mit Hindernissen konfrontiert. Die Toilettenfrage ist dabei das kleinste Problem.

Die Pöbelei gegen einen Homosexuellen und eine Transfrau durch einen Betrunkenen, wie sie am Bahnhof Sargans letzte Woche geschehen sein soll, hat in der Transgender- und Homosexuellenszene für Aufruhr gesorgt. «Scheissschwuchteln», soll der Unbekannte gesagt haben, bevor er nach Aussage der Opfer die beiden tätlich angriff.

Derart offensichtliche Gewalt gegen homosexuelle und transidente Personen sei jedoch eher selten, sagt Myshelle Baeriswyl, Psychologin, Sexualpädagogin und Geschäftsleiterin von der St.Galler Fachstelle für Aids- und Sexualfragen. In der Regel geschehe die Ablehnung auf subtilere Weise. «Unsere Gesellschaft ist erzogen worden, binär zu denken. Es gibt nur männlich und weiblich. Davon Abweichendes ist erst einmal verpönt», sagt die Fachstellenleiterin. Dabei hätten es insbesondere Transgender oft ohne solche Vorfälle schon schwer genug. «Sich zu outen braucht Mut, denn die unmittelbaren Reaktionen und langfristigen Folgen dieses Schritts sind für viele Betroffene nicht abzuschätzen.» Die Fachstellenleiterin ist es gewohnt, mit Intoleranz, Diskriminierung und Ablehnung umzugehen. Sei dies durch zu Beratende an der Fachstelle oder aus eigener Erfahrung: Baeriswyl ist selber eine Transfrau.

Angst vor dem Coming-out

«Transidentität wird in unserer Gesellschaft noch immer tabuisiert», sagt Baeriswyl. Deshalb wüssten viele nicht damit umzugehen. Schüler beispielsweise würden es aus Angst vor Mobbing oder aus Sorge, als Sonderfall behandelt zu werden, vermeiden sich zu outen. «Auch in der Ostschweiz sind uns einige Fälle von Mobbing gegen LGBTI (siehe Erklärung unten) bekannt, die teils mit einem Schulwechsel geendet haben», sagt Baeriswyl. Um wenigstens der Homophobie entgegenzuwirken, leisten homosexuelle Personen im Projekt Comout der Fachstelle regelmässig Aufklärungsarbeit in Schulen. «Sie thematisieren mit Schülern in respektvoller Atmosphäre Geschlechterrollen und Vorurteile und gewähren Einblick in das Leben homosexueller Personen.» Damit solle das Verständnis für Coming-outs und die damit verbundenen Schwierigkeiten erhöht werden.

«Diskriminiert werden dafür, wer man ist, schädigt das Selbstbewusstsein. Nicht jeder ist mutig genug, gegen Pöbeleien zu kontern, wenn man sich, wie die meisten Transgender, sowieso schon selbst in Frage stellt», sagt Baeriswyl. Transgender machen 0,5 bis ein Prozent der Schweizer Bevölkerung aus. Vier von fünf Transgendern haben laut Statistik bereits mit Suizidgedanken gespielt.

Problem bei der Jobsuche

Neben der Selbstkritik treffe Transgender der wirtschaftliche Aspekt wohl am härtesten, so die Fachstellenleiterin. Über 20 Prozent der Transgender sind arbeitslos. «Fast jede transidente Person wurde mindestens einmal entlassen. Das gilt auch für Führungspositionen. Die Begründung ist natürlich immer eine andere. Einige kündigen auch selber wegen Mobbing.» Finde eine transidente Person danach einen neuen Job, sei es nicht selten nur eine Teilzeitstelle oder eine schlechter bezahlte Arbeit.

Schon als Baby fremdbestimmt

Auf nationaler Ebene wird versucht, der besonderen Situation von LGBTI Rechnung zu tragen. Das administrative Vorgehen zur Änderung eines Vornamens im Falle einer Geschlechtsänderung wurde bereits vereinfacht. Anfang Juli veröffentlichte der Bundesrat erstmals eine Stellungnahme zu einem Bericht der Nationalen Ethikkommission über den Umgang mit intersexuellen Menschen. Die Empfehlungen aus dem Bericht befinden sich laut Bundesrat fast alle in der Umsetzung oder sind bereits umgesetzt.

Gemäss Baeriswyl bleibt der Weg zu einer Gleichbehandlung von Transgendern dennoch steinig. «Das Geschlecht im Reisepass ändern zu lassen, ist nach wie vor ein demütigender Prozess.» Die Behörden verlangen den Nachweis der Sterilität durch Hormone oder Operation. Verheirateten Paaren droht unter Umständen eine gerichtliche Scheidung, oder die Ehe muss in eine eingetragene Partnerschaft umgewandelt werden. Zudem muss eine psychiatrische Fachperson die Transidentität von Antragstellenden bestätigen. Diese Fremdbestimmung erleben intersexuelle Menschen schon als Neugeborene, da direkt nach der Geburt eine Zwangsoperation stattfindet.

Die Hauptforderung der Transgender weltweit ist das Selbstbestimmungsrecht über das eigene Geschlecht. «Es gibt noch viele Hürden. Aufklärungsarbeit und Enttabuisierung tun not.»

Unisex-Klos für alle

In North Carolina gibt es ein neues Gesetz, das Leuten vorschreibt, welche öffentlichen Toiletten sie benutzen dürfen: nämlich nur diejenigen für das Geschlecht, das in ihrer Geburtsurkunde steht. Das empört viele Transfrauen und Transmänner. Die niederländische Stadt Utrecht setzt dagegen seit kurzem auf öffentliche sanitäre Anlagen mit geschlechtsneutraler Beschriftung.

«Auch die Stadt St.Gallen ist mit vielen Unisex-Anlagen ausgestattet», sagt Hansueli Rechsteiner, Leiter des städtischen Hochbauamts. Damit meint er die Hightech-Chromstahl-Einzelkabinen, die an verschiedenen Orten in der Stadt aufgestellt sind. Auch die konventionell getrennten WCs an der Bushaltestelle Rotmonten wurden in eine behindertengerechte und eine geschlechtsneutrale Einzelkabine umgebaut. Falls Renovationen anstünden, werde man weitere Unisex-Toiletten bauen, sagt der Chef des St.Galler Hochbauamts.

Geschlechtsneutrale Toiletten gibt es ansonsten vor allem in kleinen Bars, in welchen der Platz für getrennte Anlagen nicht ausreicht. Und auch in Zügen und Flugzeugen sind sie eine Selbstverständlichkeit. Das ist ganz im Sinne der Transgender-Personen. «Geschlechtsneutrale Toiletten tragen im Alltag zum Wohlbefinden vieler Transgender bei», sagt Myshelle Baeriswyl, Geschäftsleiterin der St.Galler Aids-Fachstelle.

Begriffe: Die richtigen Worte wählen
  • Transgender: Fühlen sich nicht dem bei der Geburt zugeordneten Geschlecht zugehörig. Transfrauen identifizieren sich als Frau, Transmänner als Mann.
  • Transvestit: Transgender, die zeitweise in der Rolle des anderen Geschlechts auftreten, doch meist in der Rolle ihres biologischen Geschlechts bleiben.
  • Transidentität, transident: Sagt nichts über sexuelle Orientierung, sondern über die Selbstwahrnehmung.
  • Intersexuelle Menschen: Sind mit einem Körper geboren, der keinem Geschlecht eindeutig zugeordnet werden kann.
  • LGBTI (Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender, Intersexual): Passen nicht in die Norm der Heterosexualität und des eindeutigen Zweigeschlechtersystems.
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