Die Ehe für alle sorgt für Rechtsgleichheit
12. April 2021
Die Schweizer Stimmbürger*innen befinden voraussichtlich im September oder November an der Urne über die Ehe für alle. Dafür gesorgt haben drei Referendumskomitees, indem sie am Montag 60’000 Unterschriften bei der Bundeskanzlei eingereicht haben.
Text: Predrag Jurisic/Adrian Knecht
Beitragsbild: pixabay.com
Ein wichtiger Schritt Richtung Kindeswohl und Gleichstellung
Regenbogenfamilien sind in der Schweiz schon längst Realität. Auch die Wissenschaft ist sich darüber einig, dass sich Kinder aus Regenbogenfamilien genauso gut entwickeln wie Kinder, die aus einer heterosexuellen Beziehung hervorgehen. Denn gleichgeschlechtliche Paare sind verschiedengeschlechtlichen Paaren ebenbürtig, was die Elternschaft angeht. Das oft verwendete Argument, ein Kind brauche sowohl eine Mutter als auch einen Vater, entspricht nicht den Erfahrungen von Regenbogenkindern: Denn verschiedene Geschlechterrollen erleben sie nicht nur in der eigenen Kernfamilie, sondern vor allem auch im erweiterten Umfeld. Vielmehr sind für die Kinder feste und liebevolle Bezugspersonen wichtig, unabhängig des Geschlechts oder der sexuellen Orientierung, wie eine kritische Zusammenschau der Uni Basel zeigt.
Die Ehe für alle ist somit ein wichtiger Schritt Richtung Kindeswohl und Gleichstellung, weil gleichgeschlechtliche Paare heute mit der eingetragenen Partnerschaft den Eheleuten nicht gleichgestellt sind, zum Beispiel bei der Einbürgerung oder in der gemeinschaftlichen Adoption von Kindern. Ferner würde eine Ehe für alle den derzeitigen Bürokratieaufwand der Behörden reduzieren und Kosten einsparen.
Ehe für alle hat eine Signal- und Integrationswirkung
Die Ehe für alle hat auch für die Gesellschaft eine grosse Signal- und Integrationswirkung: In Ländern, in denen die Ehe allen Paaren zugänglich ist, ist die Suizidrate von LGBTIQA+ Personen gesunken. Parallel ist die Akzeptanz gegenüber der queeren Community gesellschaftlich insgesamt gestiegen. Dies bestätigen mehrere Studien in Ländern wie den USA, Dänemark oder Schweden.
Ferner hat die Ehe für alle einen integrativen Charakter: Bei behördlichen oder anderweitigen Formularen (Kreditantrag, Bewerbung etc.) müssten gleichgeschlechtliche Paare nicht ein Extra-Feld für eingetragene Partnerschaften ankreuzen und sich damit einer Art Zwangs-Outing unterziehen. Ausserdem wäre die Ehe für alle auch international anerkannt: Derzeit ist die eingetragene Partnerschaft in Ländern, die die Ehe für alle kennen, nicht anerkannt. Dies führt bei gleichgeschlechtlichen Paaren zwischen einer Schweizerischen und einer ausländischen Person zur Benachteiligung.
Beitrag TVO Aktuell vom 12.04.2021
Fazit aus fachlicher Sicht
Die Fachstelle für Aids- und Sexualfragen hat den Auftrag, sich gegen Diskriminierung aufgrund von sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität einzusetzen. Deshalb ist es uns ein Anliegen, uns aus fachlicher Sicht zur bevorstehenden Volksabstimmung über das Referendum zur Ehe für alle zu äussern.
Die Gesetzesänderung hebt eine bestehende Diskriminierung auf. Gleichgeschlechtlich liebende Menschen können in der Schweiz zwar ihre Partnerschaft eintragen lassen. Diese bietet jedoch nicht die gleiche gesetzliche Ausgangslage für existenzielle Fragen in den Bereichen Finanzen, Familiengestaltung und Vorsorge. Die aktuelle Situation sorgt also nicht bei allen Paaren für die gleichen Sicherheiten. Gleichgeschlechtliche Paare und ihre Kinder sind weniger gut abgesichert. Es braucht vor dem Gesetz eine Gleichwertigkeit.
Die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare hat Signalwirkung für die Gesellschaft, insbesondere für junge Menschen. Die Möglichkeit der Ehe für alle ist ein Zeichen der gesellschaftlichen Akzeptanz. Die Ehe für alle betrifft also nicht nur gleichgeschlechtliche Paare, die heiraten möchten. Sie hat auch positive Auswirkungen auf das Leben aller queeren Menschen in der Schweiz und bringt Kinder, die in Regenbogenfamilien aufwachsen, in eine gleichwertige Position. Die Gesellschaft hat sich in den letzten Jahrzehnten weiterentwickelt. Die Ehe für alle bildet gesellschaftliche Realitäten auch im Gesetz ab. Die Schweiz hat hier die Chance, aber auch den Auftrag, den gesellschaftlichen Veränderungen Rechnung zu tragen und die Rechtsgleichheit zu gewährleisten.
Weitere Fragen und Antworten zu den Argumenten gibt es hier nachzulesen.