Jahresbericht

Impulsabend zum Thema «Transmenschen unter uns»

3. April 2019

Am Mittwoch, 27. März 2019 fand im Kulturverein in Schänis (SG) ein Impulsabend zum Thema «Transmenschen unter uns» statt. Wider aller Erwartungen stiess dieses Thema auf sehr grosse Resonanz. Zwei trans* Menschen berichteten aus ihrem Leben und von ihren Erfahrungen. Die Fachstelle für Aids- und Sexualfragen war für einen theoretischen Input zum Thema LGBT eingeladen.

Text: Andrea Dörig
Bild: Michel Bossart

Impulsabend zum Thema «Transmenschen unter uns»

Von links nach rechts: Manuel Eschle, Seraina Ricklin, Fritz Schoch und Thomas Gruner zum Thema «Transgender».

Es gehe beim Impulsabend «Transgender unter uns» nicht um einen Hype, wie Fritz Schoch, Präsident von Kultur Schänis betont. «Wir wollen an unseren Impulsabenden Themen (…) auf den Grund gehen, die halt von allen etwas geistige Flexibilität abverlangen.»

 

Transgender ist nicht gleich Intersexualität oder Transvestitismus

Der Impulsabend dient neben der Begegnung mit Transmenschen auch zur Aufklärung: Die Begriffe «Transidentität» und «Transgender» sind mit den Begriffen «Intersexualität» oder «Transvestitismus» nicht gleichzusetzen.

Trans Personen sind Menschen, deren erlebtes Geschlecht (= Geschlechtsidentität) nicht demjenigen entspricht, das ihnen bei der Geburt zugewiesen worden ist. Das heisst: Eine bei der Geburt als Frau definierte Person fühlt sich dem männlichen Geschlecht zugehörig und ist somit ein trans Mann. Dasselbe gilt für eine bei der Geburt als Mann definierte Person, die sich dem weiblichen Geschlecht angehörig fühlt und somit eine trans Frau ist.

Intersexuelle bzw. intergeschlechtliche Menschen weisen sowohl männliche als auch weibliche Körpermerkmale auf, weshalb die Forderung nach dem dritten Geschlecht «divers» oder «non-binär» berechtigt ist. Denn die binäre Geschlechterordnung (männlich oder weiblich) aus medizinischer oder behördlicher Sicht entspricht nicht den biologischen Tatsachen und ist längst überholt.

Transvestit*innen wiederum sind Menschen, die Kleider und Accessoires tragen, die als stereotypisch für die Geschlechterrolle des jeweils anderen Geschlechts innerhalb des binären Geschlechtersystems gelten. Eine Frau zieht sich an wie ein Mann und umgekehrt.

 

Und was ist mit «Transsexualität»?

«Transsexualität» ist ein veralteter Begriff, der früher anstelle von Transgender verwendet wurde. Allerdings führt dieser Begriff in die Irre, weil die Geschlechtsidentität nichts über die sexuelle Orientierung aussagt. Die sexuelle Orientierung zeigt auf, mit wem jemand sexuelle Beziehungen eingeht: mit dem eigenen Geschlecht (Homosexualität), mit dem anderen Geschlecht (Heterosexualität) oder mit beiden Geschlechtern (Bisexualität).

Die Geschlechtsidentität hingegen bezeichnet das Gefühl, zu welchem Geschlecht sich eine Person zugehörig fühlt und nicht, in welcher sexuellen Konstellation sie zu einer anderen Person steht. Ein Beispiel: Eine bei der Geburt als Frau definierte Person fühlt sich als Mann und hat sexuelle Beziehungen zu Frauen. Diese Person bezeichnet sich dann als heterosexueller trans Mann. Würde sie sexuelle Beziehungen zu Männern pflegen, würde sie sich als homosexuellen trans Mann definieren.

 

Ein gelungener Anlass

Fast punktgenau zum International Transgender Day of Visibility am 31. März hat der Impulsabend in Schänis für ein besseres Verständnis gegenüber Transmenschen gesorgt. Aber auch Wissen vermittelt, Fragen beantwortet und einen Einblick in das Leben und Coming-out von Transmenschen gewährt. Alles in allem ein gelungener Anlass.

Homosexualität in der Gesellschaft: Scheintoleranz und Ausgrenzung

Coming-out-Beratung: offenes Ohr für Männer, die Männer lieben.

29. Mai 2017

Jürg Bläuer ist MSM-Verantwortlicher der Fachstelle für Aids- und Sexualfragen und hat ein offenes Ohr für Männer, die heimlich Männer lieben. Im Interview erzählt er über das Leid der Männer, den Schmerz der Frauen und eine immer noch konservative Gesellschaft.

Interview: Susanne Holz
Beitragsbild: pixabay.com

Homosexualität in der Gesellschaft: Scheintoleranz und Ausgrenzung

Homosexualität in der Gesellschaft: Nach wie vor leiden bi- und homosexuelle Männer unter Scheintoleranz und Ausgrenzung.

Jürg Bläuer ist als MSM-Verantwortlicher (MSM = Männer, die auf Männer stehen) angestellt von drei kantonalen Fachstellen im Bereich sexuelle Gesundheit – dies in St.Gallen (50 %), Luzern (10 %) und Schwyz (10 %). In St.Gallen leitet der frühere Theologe, Gymnasiallehrer und Kulturschaffende auch das Schulprojekt «Comout». Jürg Bläuer berät im Themenbereich Homo- und Bisexualität.

Jürg Bläuer, wie sieht Ihre Arbeit als MSM-Verantwortlicher aus?
Ich berate betroffene Männer, Jugendliche, aber auch Lehrpersonen, die ja immer wieder mit betroffenen Jugendlichen zu tun haben. Ich informiere Schulen genauso wie Sozialarbeitende oder Psychologen. Was ich noch gerne erklären möchte: MSM ist eigentlich ein epidemiologischer Begriff, der ganz wertneutral «Männer, die Sex mit Männern haben» meint. Er umfasst also geoutete Homosexuelle genauso wie Bisexuelle und solche, die sich nicht als schwul bezeichnen und trotzdem Sex mit Männern haben. Wird der Begriff hauptsächlich für nicht geoutete Männer verwendet, ist das im Prinzip falsch. Es ist bezeichnend, dass es kein Wort für Männer gibt, die nicht offen homosexuell sind – etwas Unsichtbares wird nicht benannt.

Was unterscheidet denn eigentlich einen bisexuellen Mann von jenem, der mit einer Frau zusammen ist, aber heimlich Sex mit Männern hat?
Nicht so viel, würde ich sagen. Beides ist gesellschaftlich nicht anerkannt. Unter den sogenannten MSM gibt es sowohl Bisexuelle als auch Homosexuelle, die geheiratet haben, um der Konvention zu folgen. So oder so, die Betroffenen leiden, weil sie ein Tabu leben.

Wie viele Männer haben Sex mit anderen Männern?
Wir gehen von 5 bis 10 Prozent der männlichen sexuell aktiven Bevölkerung aus. Regelmässig aktive MSM gibt es in der Schweiz wohl 80’000.

Welche Probleme und Sorgen haben diese Männer?
Sie leiden generell unter der Stigmatisierung der Homosexualität in der Gesellschaft, unter Scheintoleranz und Ausgrenzung – immer noch, hier und weltweit. Verheiratete MSM leiden zusätzlich unter der belasteten Ehesituation, dem zusätzlichen Tabu … Homosexuelle sind zudem eine sehr heterogene Gruppe. Teilweise werden mit Frauen verheiratete MSM auch unter anderen Homosexuellen ausgegrenzt oder grenzen sich selber aus: Sie trauen sich nicht an Treffs. Diese Männer haben es schwer im Vergleich zu anderen Homosexuellen, weil sie nur ihre sexuellen Wünsche befriedigen, sonst aber isoliert sind. In meiner Beratung teilen die meisten MSM die gleichen Sorgen: Sie leben auf dem Land mit wenig Möglichkeit zur Offenheit.

Wie schwer fällt es den Männern, Beratung in Anspruch zu nehmen?
Speziell für verheiratete MSM gilt: Ist das Eis einmal gebrochen, schätzen sie den Kontakt zu mir als Fachperson, da sie sonst häufig nur auf Sexualität basierte Kontakte haben. Ich bin dann einer der Ersten, der sie akzeptiert, wie sie sind. Sie können Druck ablassen, ihre Situation schildern, sich angenommen fühlen. Die Beratung ist ein Baustein in einem Gefüge kleiner Schritte. Sie ist auch wichtig, weil sie dazu führen kann, sich auf Krankheiten testen zu lassen und medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen, was bei geouteten Homosexuellen zum guten Ton gehört. Führen MSM ein geheimes Sexualleben, entfällt die Prävention oft. Hier sind auch die Hausärzte gefordert, ein offenes Ohr zu haben.

An wen können sich die betroffenen Partnerinnen wenden, für die ja auch eine Welt zusammenbricht?
Auch betroffene Partnerinnen können sich an die Fachstellen für sexuelle Gesundheit wenden. An die Paar- oder Eheberatung – hier verfüge ich über gute Kontakte zu Fachpersonen. Dann gibt es eine Organisation namens Hetera, die wohl gerade einen Dienstagsklub zum Thema «Frauen von schwulen Männern» plant. Einzelne Frauen wissen seit Beginn der Beziehung von der Homosexualität ihres Partners, andere schauen weg und leiden still. Manche arrangieren sich, andere haben keine Ahnung von der Neigung ihres Mannes. Für alle betroffenen Frauen ist es eine grosse Herausforderung.

Worin sehen Sie die Lösung für diese Männer, Frauen, Paare?
Es braucht eine Begleitung durch Ehe- und Familienberatungen, psychologische Unterstützung aller Beteiligten, Klärung der sexuellen Orientierung. Es braucht die Enttabuisierung des Themas. Nur wenn die Gesellschaft tolerant ist und die Menschen ehrlich zu sich selber sind, gehen junge homosexuelle Männer und Frauen keine Ehe mehr ein in der Annahme, «schon noch auf die richtige Bahn zu kommen», oder beugen sich nicht mehr dem religiösem Druck, um den Schein zu wahren. Junge Menschen müssen sich mit ihrer sexuellen Orientierung beschäftigen können. Sie haben nach wie vor Angst, sich zu outen. Unsere Gesellschaft ist immer noch konservativ – das wurde mir bei der Leitung des Schulprojekts «Comout» bewusst. Es ist noch ein weiter Weg bis zur vollständigen Akzeptanz von Homosexualität.

Wie finden Betroffene zu Ihnen?
Oft übers Internet, teils erhalte ich telefonische Anfragen via Homepage.

Dieses Interview erschien in der Ostschweiz am Sonntag, 28. Mai 2017, und in der Zentralschweiz am Sonntag, 26. März 2017.

Beratung zum Coming-out und zur Männergesundheit über E-Mail, Telefon oder Chat

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