Trans*-Sein in der Schweiz: Raus aus den Schubladen
6. Oktober 2016
Das Salongespräch «Trans*-sein in der Schweiz» vom Mittwochabend in der Churer Werkstatt weckte grosses Interesse am vielfach unvertrauten Thema Transidentität. Es zeigte aber auch, dass die Wissenslücken meist ebenso gross sein können.
Text/Beitragsbild: Stefanie Studer
«Schubladisieren grenzt alle Menschen ein», findet Christian Conrad von der Aids-Hilfe Graubünden. Aus diesem Grund lud die Fachstelle am vergangenen Mittwochabend zum Salongespräch «Trans*-sein in der Schweiz» mit anschliessender Präsentation des Dokumentarfilms «Mirco» in der Churer «Werkstatt» ein. Zu Gast: Niklaus Flütsch aus Zug, Gynäkologe und Leiter einer Sprechstunde für Transmenschen, sowie die Psychologin und Sexualpädagogin Myshelle Baeriswyl aus Zürich. Beides Expert*innen, beides sogenannte Transmenschen.
Mit 45 Jahren hatte die aus St. Antönien stammende Bettina Flütsch den Entscheid zur Transition – also zur Geschlechtsanpassung – gefällt. Bettina wurde Niklaus. Myshelle Baeriswyl hatte ihr Coming-out vor rund fünf Jahren im Alter von 49. Anders als die anderen gefühlt hatten sich beide allerdings schon im Kindesalter. «Ich hatte halt eine lange Leitung», meinte Baeriswyl lachend – und bestätigte damit gleich das vorangegangene Versprechen von Moderatorin Melanie Salis, dass dieser Abend garantiert «nicht langweilig und nicht todtraurig» werde.
Zahlreiche Herausforderungen
Baeriswyl und Flütsch erzählten beide mit Humor, aber auch mit bewundernswerter Offenheit von ihrem früheren Leben im «falschen Körper», vom langen Weg zur Transition und von den Herausforderungen, welche die Transition mit sich bringt. Die «lange Leitung» mag lustig klingen. Dahinter stecken aber jahrelanges Hinterfragen der eigenen Identität, Auseinandersetzungen im engsten Umfeld und ein Spiessrutenlauf nach dem anderen bei den Behörden. Eine Personenstandsänderung sei in vielen Ländern nicht ohne Nachweis von Unfruchtbarkeit möglich – auch in der Schweiz, erklärte Baeriswyl. Es folgte ein Raunen im bis auf den letzten Platz besetzten Lokal – eines von vielen.
Ein weiteres nach jener Aussage der Psychologin, dass die Arbeitslosenquote bei transidenten Menschen in der Schweiz rund 25 Prozent betrage. Ein weiteres nach dem Satz von Flütsch, dass Eltern von transidenten Kindern leider oft auf das «Vorbeigehen dieser Phase» hoffen würden. «Dabei ist es heute möglich, Kinder und Jugendliche viel früher auf ihrem Weg zu unterstützen.»
Fragen über Fragen
Baeriswyl und Flütsch erzählten aber nicht nur aus ihrem privaten und beruflichen Alltag, sie beantworteten auch zahlreiche Fragen aus dem Publikum und konnten so einige Irrtümer beseitigen. So etwa, dass der Begriff Transsexualität von vielen abgelehnt wird, weil die Geschlechtsidentität nichts mit Sexualität zu tun hat, und Homosexualität und Transidentität zwei paar Schuhe sind. Baeriswyl fügte lachend an: «Ich bin jetzt lesbisch – was ich ein bisschen lustig finde.» Der Film übrigens wurde auf Wunsch des Publikums kurzerhand gestrichen. Es gab und gibt noch viel mehr zu wissen.
Informationen und Beratung zum Thema Transidentität gibt es bei Transgender Network Schweiz. In der Region St.Gallen-Appenzell erhalten Sie eine Erstberatung bei der Fachstelle für Aids- und Sexualfragen: info@ahsga.ch | 071 223 68 08 | WhatsApp.