20. September 2021
Vom 14. bis 17. September 2021 hielt das «Respect Camp» Einzug auf dem Klosterplatz St.Gallen. Dabei bot eine bunte Zeltstadt jungen Menschen verschiedene «Trainingspoints» zum respektvollen Zusammenleben. Die Fachstelle für Aids- und Sexualfragen war ebenfalls mit von der Partie und informierte die Jugendlichen über die LGBTIQA+ Community.
Text: Predrag Jurisic
Bilder: Predrag Jurisic
Trainingspoint LGBTIQA+ am Respect Camp 2021
Rund 900 Schüler*innen von der 6. Klasse bis zur 3. Oberstufe besuchten das Respect Camp auf dem Klosterplatz St.Gallen. Verschiedene «Trainingspoints» boten den Schüler*innen einen spielerischen Rahmen, sich mit Themen des respektvollen Zusammenlebens und der Friedensförderung auseinanderzusetzen. Auf «lustvolle und kreative Art» sprachen sie über Beziehungen, Glück, Frustabbau, Frieden stiften, respektvolle Kommunikation und andere Religionen. Der Rundgang dauerte rund zwei Stunden. Organisiert hat das Respect Camp die kirchliche Jugendarbeit Yesprit in Zusammenarbeit mit Partnerorganisationen. Auch das Team der Fachstelle für Aids- und Sexualfragen (Aids-Hilfe St.Gallen-Appenzell) war mit von der Partie.
«Schwule, die sich schminken, machen mich wütend»
«Ich habe nichts gegen Schwule, aber warum müssen sie sich schminken? Das macht mich wütend!» Solchen und ähnlichen Aussagen begegnet Adrian Knecht während seines Einsatzes am diesjährigen Respect Camp. Adrian Knecht ist Projektleiter MSM/LGBTIQA+ bei der Fachstelle für Aids- und Sexualfragen. Am Respect Camp steht er zum ersten Mal im Einsatz. Mit Oberstufenschüler*innen diskutiert er über die LGBTIQA+ Community und will ihre Ansichten und Vorurteile gegenüber der LGBTIQA+ Community näher erfahren. «Was stört euch daran, dass sich Männer schminken?», fragt er in die Gruppe zurück. Es sei halt nicht normal, antwortet ein Schüler. Dem stimmt eine weitere Schülerin zu: «Ein Mann ist ein Mann, eine Frau eine Frau.»
Die Oberstufenschüler*innen beziehen sich auf ihre Erfahrungen im Netz: «Da kommen immer wieder Videos auf TikTok oder Snapchat mit Männern, die sich schminken. Und das nervt.» Adrian Knecht wendet ein, dass diese Kanäle eine Bühne seien und sich die Leute bewusst inszenieren würden. «Dies entspricht jedoch nicht der Realität, schon gar nicht pauschal», ergänzt er seinen Einwand. Für ihn ist nach dem Respect Camp klar: «Es braucht an den Schulen eine vertiefte und kritische Auseinandersetzung mit Medieninhalten und Quellen, damit sich die Jugendlichen ein differenzierteres Bild machen können. Nur so können sie später als mündige Erwachsene Inhalte kritisch einordnen, Pauschalisierungen entgegentreten und sich besser in andere Menschen hineinversetzen.»
«Ich finde es ok, unterstütze es aber nicht»
Neben der Diskussion spielen die Oberstufenschüler*innen ein Memory zur sexuellen Vielfalt. Dabei ordnen sie Symbole verschiedenen Begriffen zu und klären die verschiedenen sexuellen Orientierungen: heterosexuell, lesbisch, schwul, bisexuell, pansexuell, asexuell … Oder verschiedene Geschlechter und Geschlechtsidentitäten wie trans, intergeschlechtlich, non-binär, genderfluid, binär …
Bei diesem Spiel merken einige Schüler*innen, dass die Menschen vielfältiger sind, als sie dies bisher selbst erlebt haben. Das Fazit eines Schülers: «Ich finde es ok. Es hat ja was mit dem eigenen Körper zu tun. Die Menschen können es sich nicht aussuchen – wie die Augen- oder Hautfarbe. Aber ich unterstütze jetzt nicht die LGTBIQA+ Community.»
Die Berührungsängste bleiben trotz rationalen Argumenten und Einsichten haften. Die Begriffe «normal–nicht normal» beschäftigen die Oberstufenschüler*innen. Es scheint so, als hätten sie Angst: Angst davor, nicht der Norm zu entsprechen und damit keine Akzeptanz zu erfahren, wenn sie oder andere anders sind. Auf die Frage, warum sie die LGBTIQA+ Community nicht unterstützen würden, obwohl sie das Anderssein ok finden, gibt es oft keine Begründung ausser Schulterzucken.
«Unbekanntes sorgt für Unwissen und Unbehagen»
Das Respect Camp zeigt: Jugendliche wissen, dass es verschiedene sexuelle Orientierungen und verschiedene Geschlechtsidentitäten gibt und diese nicht wählbar sind. Dennoch sind einige von ihnen demgegenüber kritisch oder ablehnend eingestellt. Dazu Simone Dos Santos, Geschäftsleiterin der Fachstelle für Aids- und Sexualfragen: «Einige Jugendliche, oftmals Jungs, betrachten das Thema «LGBTIQA+» entweder als Witz, bei dem sie sich gegenseitig mit Sprüchen zu übertrumpfen versuchen. Oder sie zeigen homo- und transphobe Tendenzen auf, die sie in ihrem Umfeld so erlernt haben.» Bei den Mädchen und jungen Frauen hingegen beobachtet Simone Dos Santos allgemein mehr Offenheit.
Die Fähigkeit, sich respektvoll mit dem Thema auseinanderzusetzen, hänge von verschiedenen Voraussetzungen ab: «Einerseits spielt das persönliche Umfeld eine grosse Rolle: Elternhaus, Freundeskreis, Lehr- und Vertrauenspersonen, Vorbilder etc. Von all diesen Personen übernehmen die Jugendlichen bestimmte Werthaltungen, aber auch Vorurteile», erklärt Simone Dos Santos. «Andererseits sind die Vorbehalte dort am grössten, wo der direkte Kontakt zur LGBTIQA+ Community fehlt. Das ist wie bei der Fremdenfeindlichkeit: Diese ist immer dort am grössten, wo wenig bis kein Austausch mit ausländischen Personen besteht. Und Unbekanntes sorgt für Unwissen und damit oftmals für Unbehagen.»
Abbau von Vorurteilen dank Präventionsarbeit an Schulen
Vorurteile lassen sich am besten dadurch abbauen, indem die Sichtbarkeit der LGBTIQA+ Community und der Austausch mit ihr in allen Bevölkerungsschichten zunimmt. Dazu Simone Dos Santos: «Darum führen wir im Rahmen der Sexualpädagogik jährlich über 100 Schuleinsätze mit unserem COMOUT-Schulprojekt durch.»
Bei diesem Projekt besuchen lesbische, bi- oder homosexuelle Personen als COMOUT-Mitarbeitende Schulklassen und Jugendgruppen. Dort vermitteln sie grundlegendes Wissen zur sexuellen und geschlechtlichen Vielfalt sowie zu Fakten rund um die Homo- und Bisexualität. Besonders im Vordergrund steht die persönliche Begegnung mit einer homo- oder bisexuellen Person. Die Jugendlichen erfahren durch das autobiografische Erzählen der COMOUT-Mitarbeitenden, wie deren Coming-out abgelaufen ist, welche Schwierigkeiten damit verbunden waren und auch, was sich dadurch im Leben dieser Person verändert hat. «Solche Besuche fördern das Reflektieren über Vorurteile, Diskriminierung und Klischees und letztlich einen respektvollen Umgang mit der Community», ergänzt Simone Dos Santos.
Impressionen vom Respect Camp