Historisch tief: Die HIV-Neudiagnosen in der Schweiz sind 2020 erstmals unter die Grenze von 300 Ansteckungen pro Jahr auf 290 gesunken. Grafik: BAG Bulletin 48 (2021).

HIV-Update: Neudiagnosen, PrEP und Zukunftsaussichten

6. April 2022

Die HIV-Neudiagnosen in der Schweiz sind 2020 erstmals unter die Grenze von 300 Ansteckungen pro Jahr auf 290 gesunken. Das ist ein historisches Tief. Der abnehmende Trend lässt sich seit 2008 beobachten und hält weiter an.

Text: Predrag Jurisic
Beitragsbild und Grafiken im Text: BAG Bulletin 48 (2021), aidsmap.com, PD Dr. med. Dominique L. Braun

Seit Beginn der HIV-Epidemie Anfang der 1980er-Jahre hat das Bundesamt für Gesundheit (BAG) weniger als 300 Fälle gemeldet, nämlich 290. Im Vergleich dazu waren es in den 1990er-Jahren im Durchschnitt 1300 Fälle jährlich. Zu diesem erfreulichen Resultat beigetragen haben drei Dinge: vermehrte Tests bei besonders exponierten Personengruppen, eine immer früher einsetzende HIV-Therapie sowie die Präexpositionsprophylaxe (PrEP).

 

Historisch tief: Die HIV-Neudiagnosen in der Schweiz sind 2020 erstmals unter die Grenze von 300 Ansteckungen pro Jahr auf 290 gesunken. Grafik: BAG Bulletin 48 (2021).

Historisch tief: Die HIV-Neudiagnosen in der Schweiz sind 2020 erstmals unter die Grenze von 300 Ansteckungen pro Jahr auf 290 gesunken. Grafik: BAG Bulletin 48 (2021).

 

Corona-Pandemie: Einfluss auf HIV-/STI-Neudiagnosen?

PD Dr. med. Dominique L. Braun, Oberarzt an der Klinik für Infektionskrankheiten und Spitalhygiene des Universitätsspitals Zürich (USZ), sagt dazu anlässlich des HIV-Updates der Aids-Hilfe Schweiz: «Die Pandemie hatte einen Einfluss, der sich noch nicht genau verorten lässt.» Am Universitätsspital Zürich gab es deutlich weniger HIV-Neudiagnosen im Vergleich zu den Vorjahren. Beim Checkpoint Zürich sah die Lage wieder anders aus: Dort gab es wöchentlich eine HIV-Neudiagnose.

Bei den STI-Diagnosen lagen die beobachteten Fallzahlen ebenfalls unter den zu erwarteten Fallzahlen (s. Grafik). Dies könnte ein Indiz dafür sein, dass die Corona-Pandemie einen Einfluss auf die HIV-/STI-Ansteckungen hatte. Die möglichen Gründe dafür:

  • weniger häufige Tests bzw. Zurückhaltung beim Aufsuchen von medizinischen Einrichtungen
  • verschobene Präventionskampagnen wegen der Pandemiemassnahmen
  • allgemein weniger soziale Kontakte und damit weniger sexuelle Risikosituationen als vor der Pandemie
  • temporäre Schliessungen von Bordellen und Clubs

 

HIV-/STI-Neudiagnosen 2020

HIV-/STI-Neudiagnosen 2020. Grafik: BAG Bulletin 48 in HIV-Update von PD Dr. med. Dominique L. Braun (USZ) vom 15. März 2022.

 

 

Männer am meisten von HIV betroffen

79 Prozent aller gemeldeten HIV-Fälle in der Schweiz betrafen im Jahr 2020 Männer. Dabei war Sex mit anderen Männern (MSM) der meist genannte Ansteckungsweg mit 50,8 Prozent. An zweiter Stelle standen heterosexuelle Kontakte mit 26,5 Prozent. Bei 2,2 Prozent der HIV-Diagnosen war das Benutzen von kontaminiertem Spritzbesteck bei intravenösem Drogenkonsum (IDU) der Grund für die Ansteckung. Bei rund 20 Prozent der HIV-Diagnosen bei Männern liess sich der Ansteckungsweg nicht ermitteln.

Die HIV-Infektionen bei den Frauen erfolgten mit 69,6 Prozent hauptsächlich über heterosexuelle Kontakte. Die anderen 30,4 Prozent liessen sich nicht ergründen.

 

HIV-Neudiagnosen 2020 bei Männern und Frauen

HIV-Neudiagnosen 2020 bei Männern und Frauen. Erklärung zu Abkürzungen: MSM: Männer, die mit Männern Sex haben. IDU: intravenous drug user (= intravenöser Drogenkonsum). Grafik: BAG Bulletin 48 in HIV-Update von PD Dr. med. Dominique L. Braun (USZ) vom 15. März 2022.

 

Rückgang der HIV-Infektionen dank HIV-Therapie und PrEP

In der Schweiz sind rund 17’100 Menschen mit HIV infiziert. Davon kennen 93 Prozent ihre Diagnose. 98 Prozent der Personen mit HIV-Diagnose erhalten eine medikamentöse HIV-Therapie. Von denen wiederum haben 96 Prozent eine Viruslast unter der Nachweisgrenze. Sie geben das Virus also nicht mehr weiter. Die Schweiz liegt damit im weltweiten Vergleich weit vorn und hat das WHO-Ziel 90-90-90* übertroffen.

*WHO-Ziel bis 2020:

  • 90 Prozent aller Infizierten kennen ihre HIV-Diagnose
  • 90 Prozent aller diagnostizierten Personen erhalten eine HIV-Therapie
  • 90 Prozent aller therapierten Personen sind unter der Nachweisgrenze und geben das Virus nicht mehr weiter
HIV-Kaskade. Grafik: BAG Bulletin 48 (2021).

HIV-Kaskade: Anzahl infizierter, diagnostizierter und therapierter Personen bzw. Personen unter der der Nachweisgrenze. Grafik: BAG Bulletin 48 (2021).

 

Auch die PrEP (= orale HIV-Chemoprophylaxe) hat zur Abnahme der HIV-Neudiagnosen beigetragen: Ende 2020 nahmen mindestens 3000 Personen, überwiegend MSM, die PrEP als Schutz vor HIV. Der Blick nach London, wo die PrEP länger im Einsatz ist, lässt auf weiter sinkende HIV-Infektionen bei MSM hoffen: Demnach sind dank der PrEP die HIV-Infektionen bei MSM zwischen Oktober 2015 und September 2017 um 90 Prozent zurückgegangen. Und das bei gleichbleibender Anzahl HIV-Tests (s. Grafik). Aufgrund dieser Erfahrungen ist in der Schweiz auch für die kommenden Jahre ein rückläufiger Trend von HIV-Infektionen zu erwarten.

HIV-Neudiagnosen bei MSM in London: 90%iger Rückgang dank der PrEP. Grafik: HIV-Update von PD Dr. med. Dominique L. Braun (USZ) vom 15. März 2022.

HIV-Neudiagnosen bei MSM in London: 90%iger Rückgang dank der PrEP. Grafik: aidsmap.com in HIV-Update von PD Dr. med. Dominique L. Braun (USZ) vom 15. März 2022.

 

 

Langzeitinjektion für HIV-Therapie und PrEP in Sicht

Einen weiteren Meilenstein in der HIV-Therapie bedeuten Long-Acting-Medikamente: Das sind Medikamentendepots, die in Kombination von Tabletten und Langzeitinjektionen aufgebaut werden. So müssen HIV-Patient*innen nicht mehr täglich ihre Medikamente einnehmen. Dies könnte die Stigmatisierung in Zusammenhang mit der täglichen Medikamenteneinnahme reduzieren oder in vulnerablen Patientenpopulationen zu einer besseren Therapietreue führen.

Bei der Long-Acting-Therapie nehmen HIV-Patient*innen während eines Monats täglich zwei HIV-Medikamente oral ein. Im zweiten und dritten Monat erfolgt die Medikamentenabgabe der beiden Substanzen mittels Langzeitinjektion intramuskulär in den Gesässmuskel. Dieses Medikamentendepot wird danach alle zwei Monate aufgefrischt und erfordert eine genaue Planung. Denn das Zeitfenster für die Auffrischungsinjektion beträgt plus oder minus sieben Tage: Wer z. B. die letzte Langzeitinjektion am 15. April bekommt, kann die Auffrischung zwei Monate später zwischen dem 8. und 22. Juni vornehmen.

Gute Neuigkeiten betreffend Langzeitinjektionen gibt es auch bei der PrEP: Die Studie «HPTN 083» aus den USA zeigte gegenüber der täglichen Einnahme der PrEP eine signifikant höhere Wirksamkeit zur Risikoreduktion einer neuen HIV-Infektion. Das Risiko einer HIV-Infektion bestand hauptsächlich in der tiefen Therapietreue der Vergleichsgruppe (= unkorrekte PrEP-Einnahme). Somit spricht vieles für eine HIV-PrEP durch Langzeitinjektionen. Die Zulassung hierzu steht noch aus.

 

Warum eine HIV-Impfung-/Heilung noch nicht möglich ist

Im Zuge der raschen Impfstoffentwicklung während der Corona-Pandemie hat sich die breite Öffentlichkeit gefragt, ob dies auch im Falle von HIV möglich sei. Leider ist dies nicht der Fall, auch nicht in den nächsten fünf bis zehn Jahren. Denn das HI-Virus unterscheidet sich stark vom Coronavirus: Das HI-Virus mutiert sehr rasch und hat dadurch eine hohe genetische Vielfalt. Ausserdem versteckt es sich gut vor den Antikörpern. Zwar ermöglicht die mRNA-Technologie eine rasche Anpassung samt Studien und Produktion von Impfstoffen. Aber die Grundproblematik des komplexen HI-Virus löst sie dennoch nicht. Und: Das menschliche Immunsystem produziert bei HIV breit neutralisierende Antikörper nur sehr selten und wenn, dann erst spät. Ungelöst bleibt auch das ethische Dilemma, dass in HIV-Impfstudien keine Placebo-Gruppe eingeschlossen werden kann, um die genaue Wirksamkeit der Impfung ermitteln zu können.

Momentan gilt: Je früher eine HIV-Therapie beginnt, steigt mit zunehmendem medizinischen Fortschritt auch die Chance auf eine Heilung. Denn die Forschung bleibt weiterhin am Ball: Neben neuen Substanzklassen beschäftigt sie sich mit Therapieformen von breit neutralisierenden Antikörpern, Stammzelltransplantationen oder Genome Editing (Genscherenprinzip).

Quellen: BAG Bulletin 48 (2021), HIV-Update AHS Academy: Präsentation von PD Dr. med. Dominique L. Braun.

#Undetectable/TasP: Schutz durch Therapie

#Undetectable heisst, die Virenlast eines HIV-positiven Menschen liegt unter der Nachweisgrenze. Oder anders ausgedrückt: Die HIV-Medikamente verhindern erfolgreich die Vermehrung des Virus, sodass es im Blut nicht mehr nachweisbar ist. Das heisst: eine HIV-positive Person unter erfolgreicher Therapie ist nicht ansteckend.

Kurz darauf sind dann auch im Sperma, in der Scheidenflüssigkeit, in anderen Körperflüssigkeiten und in den Schleimhäuten keine oder nur noch sehr wenige HI-Viren nachweisbar. Eine Übertragung von HIV ist dann nicht möglich.

Wenn eine HIV-positive Person während mindestens sechs Monaten unter der Nachweisgrenze ist, die HIV-Medikamente korrekt einnimmt und die Werte regelmässig untersuchen lässt, ist sie nicht mehr ansteckend. Auch beim Sex ohne Kondom oder ohne PrEP: Eine erfolgreiche HIV-Therapie – englisch abgekürzt TasP (= treatment as prevention, zu Deutsch Therapie als Prävention) – schützt somit gleich zuverlässig wie ein Kondom oder eine PrEP.

«Undetectable = Untransmittable» bedeutet somit: «Nicht nachweisbar» heisst «nicht übertragbar». Bei Menschen mit HIV unter erfolgreicher Behandlung ist das Virus nicht nachweisbar. Darum überträgt es sich nicht. Auch nicht beim Sex.

Erfahren Sie mehr dazu in dieser Broschüre.

Nicht nachweisbar heisst nicht übertragbar. Bei Menschen mit HIV unter erfolgreicher Behandlung ist das Virus nicht nachweisbar. Darum überträgt es sich nicht. Auch nicht beim Sex.

Nicht nachweisbar heisst nicht übertragbar. Bei Menschen mit HIV unter erfolgreicher Behandlung ist das Virus nicht nachweisbar. Darum überträgt es sich nicht. Auch nicht beim Sex.

Wichtig: Der HIV-Schutz durch Therapie schützt nicht vor anderen sexuell übertragbaren Infektionen (STI) wie Chlamydien, Syphilis oder Tripper. Hier bietet nur regelmässiges Testen den besten Schutz.

Safer Sex in einer Partnerschaft

Für Paare in einer festen Beziehung sind die Kommunikation und Transparenz über das eigene sexuelle Verhalten der erste Schritt zum Safer Sex: Vertrauen ist gut, Reden ist besser – egal, ob beim monogamen Partnerschaftsmodell oder bei einer offenen Beziehung. Über Sexualität zu sprechen ist für viele Menschen eine Herausforderung. Deshalb liegt es in der Verantwortung von jeder Person, die Thematik immer wieder aufzunehmen. Gerade bei Paaren – ob monogam oder offen lebend – kommt es nicht zuletzt zu einer unwissentlichen HIV-Ansteckung, weil es an offener Kommunikation fehlt.

 

HIV-Status von beiden kennen

Bevor Sie Sex ohne Kondom oder ohne PrEP haben, müssen Sie den HIV-Status Ihrer besseren Hälfte kennen. Dazu ist es wichtig, während mindestens sechs Wochen kein HIV-Risiko einzugehen und sich danach gemeinsam testen zu lassen – auch auf die anderen STI.

Danach gilt es, auszuhandeln, wie die Partnerschaft gestaltet sein soll: sexuelle Exklusivität bzw. Treue (= Monogamie) oder offene Partnerschaft. Ebenso gilt es, die Safer-Sex-Regeln festzulegen – besonders in einer offenen Partnerschaft bzw. im Falle eines Seitensprungs in einer monogamen Beziehung.

Für Frauen, die Sex mit Frauen haben (FSF), empfehlen wir die Broschüre «Safer Sex zwischen Frauen» zu lesen.

 

Ob monogam oder offen – Hauptsache ehrlich

Monogamie schützt vor Ansteckungen nicht: Selbst in einer liebevollen und langjährigen Partnerschaft, in der sich beide Personen die sexuelle Treue geschworen haben, können Ausrutscher passieren. Sollte es dabei zu einem Risiko gekommen sein: Seien Sie ehrlich zu Ihrer Partnerin bzw. zu Ihrem Partner. Denn damit schützen Sie sie*ihn vor einer möglichen HIV-Infektion.

Ferner empfiehlt es sich, einen STI-Test zu machen: Bei einem positiven Ergebnis gilt es, seine*n Partner*in zu informieren, damit er*sie sich ebenfalls testen und behandeln lassen kann. Auch bei Paaren in einer offenen Beziehung sind eine ehrliche Kommunikation sowie regelmässige HIV- und STI-Tests wichtig. So lassen sich allfällige Infektionen früh erkennen und behandeln. Die Infektiologie des Kantonsspitals St.Gallen bietet hierzu eine STI-Sprechstunde an.

 

Jemand ist HIV-positiv, jemand HIV-negativ: Was nun?

Sofern die betroffene Person unter einer wirksamen HIV-Therapie ist, braucht es keinen zusätzlichen HIV-Schutz wie das Kondom oder die PrEP. Dies gilt auch, wenn beide Personen in einer Partnerschaft HIV-positiv und in Behandlung sind. Ein STI-Test sollte hingegen trotzdem gemacht werden, um Infektionen mit anderen Geschlechtskrankheiten auszuschliessen.

 

Historisch tief: Die HIV-Neudiagnosen in der Schweiz sind 2020 erstmals unter die Grenze von 300 Ansteckungen pro Jahr auf 290 gesunken. Grafik: BAG Bulletin 48 (2021).

HIV-Update: Neudiagnosen, PrEP und Zukunftsaussichten

6. April 2022

Die HIV-Neudiagnosen in der Schweiz sind 2020 erstmals unter die Grenze von 300 Ansteckungen pro Jahr auf 290 gesunken. Das ist ein historisches Tief. Der abnehmende Trend lässt sich seit 2008 beobachten und hält weiter an.

Text: Predrag Jurisic
Beitragsbild und Grafiken im Text: BAG Bulletin 48 (2021), aidsmap.com, PD Dr. med. Dominique L. Braun

Seit Beginn der HIV-Epidemie Anfang der 1980er-Jahre hat das Bundesamt für Gesundheit (BAG) weniger als 300 Fälle gemeldet, nämlich 290. Im Vergleich dazu waren es in den 1990er-Jahren im Durchschnitt 1300 Fälle jährlich. Zu diesem erfreulichen Resultat beigetragen haben drei Dinge: vermehrte Tests bei besonders exponierten Personengruppen, eine immer früher einsetzende HIV-Therapie sowie die Präexpositionsprophylaxe (PrEP).

 

Historisch tief: Die HIV-Neudiagnosen in der Schweiz sind 2020 erstmals unter die Grenze von 300 Ansteckungen pro Jahr auf 290 gesunken. Grafik: BAG Bulletin 48 (2021).

Historisch tief: Die HIV-Neudiagnosen in der Schweiz sind 2020 erstmals unter die Grenze von 300 Ansteckungen pro Jahr auf 290 gesunken. Grafik: BAG Bulletin 48 (2021).

 

Corona-Pandemie: Einfluss auf HIV-/STI-Neudiagnosen?

PD Dr. med. Dominique L. Braun, Oberarzt an der Klinik für Infektionskrankheiten und Spitalhygiene des Universitätsspitals Zürich (USZ), sagt dazu anlässlich des HIV-Updates der Aids-Hilfe Schweiz: «Die Pandemie hatte einen Einfluss, der sich noch nicht genau verorten lässt.» Am Universitätsspital Zürich gab es deutlich weniger HIV-Neudiagnosen im Vergleich zu den Vorjahren. Beim Checkpoint Zürich sah die Lage wieder anders aus: Dort gab es wöchentlich eine HIV-Neudiagnose.

Bei den STI-Diagnosen lagen die beobachteten Fallzahlen ebenfalls unter den zu erwarteten Fallzahlen (s. Grafik). Dies könnte ein Indiz dafür sein, dass die Corona-Pandemie einen Einfluss auf die HIV-/STI-Ansteckungen hatte. Die möglichen Gründe dafür:

  • weniger häufige Tests bzw. Zurückhaltung beim Aufsuchen von medizinischen Einrichtungen
  • verschobene Präventionskampagnen wegen der Pandemiemassnahmen
  • allgemein weniger soziale Kontakte und damit weniger sexuelle Risikosituationen als vor der Pandemie
  • temporäre Schliessungen von Bordellen und Clubs

 

HIV-/STI-Neudiagnosen 2020

HIV-/STI-Neudiagnosen 2020. Grafik: BAG Bulletin 48 in HIV-Update von PD Dr. med. Dominique L. Braun (USZ) vom 15. März 2022.

 

 

Männer am meisten von HIV betroffen

79 Prozent aller gemeldeten HIV-Fälle in der Schweiz betrafen im Jahr 2020 Männer. Dabei war Sex mit anderen Männern (MSM) der meist genannte Ansteckungsweg mit 50,8 Prozent. An zweiter Stelle standen heterosexuelle Kontakte mit 26,5 Prozent. Bei 2,2 Prozent der HIV-Diagnosen war das Benutzen von kontaminiertem Spritzbesteck bei intravenösem Drogenkonsum (IDU) der Grund für die Ansteckung. Bei rund 20 Prozent der HIV-Diagnosen bei Männern liess sich der Ansteckungsweg nicht ermitteln.

Die HIV-Infektionen bei den Frauen erfolgten mit 69,6 Prozent hauptsächlich über heterosexuelle Kontakte. Die anderen 30,4 Prozent liessen sich nicht ergründen.

 

HIV-Neudiagnosen 2020 bei Männern und Frauen

HIV-Neudiagnosen 2020 bei Männern und Frauen. Erklärung zu Abkürzungen: MSM: Männer, die mit Männern Sex haben. IDU: intravenous drug user (= intravenöser Drogenkonsum). Grafik: BAG Bulletin 48 in HIV-Update von PD Dr. med. Dominique L. Braun (USZ) vom 15. März 2022.

 

Rückgang der HIV-Infektionen dank HIV-Therapie und PrEP

In der Schweiz sind rund 17’100 Menschen mit HIV infiziert. Davon kennen 93 Prozent ihre Diagnose. 98 Prozent der Personen mit HIV-Diagnose erhalten eine medikamentöse HIV-Therapie. Von denen wiederum haben 96 Prozent eine Viruslast unter der Nachweisgrenze. Sie geben das Virus also nicht mehr weiter. Die Schweiz liegt damit im weltweiten Vergleich weit vorn und hat das WHO-Ziel 90-90-90* übertroffen.

*WHO-Ziel bis 2020:

  • 90 Prozent aller Infizierten kennen ihre HIV-Diagnose
  • 90 Prozent aller diagnostizierten Personen erhalten eine HIV-Therapie
  • 90 Prozent aller therapierten Personen sind unter der Nachweisgrenze und geben das Virus nicht mehr weiter
HIV-Kaskade. Grafik: BAG Bulletin 48 (2021).

HIV-Kaskade: Anzahl infizierter, diagnostizierter und therapierter Personen bzw. Personen unter der der Nachweisgrenze. Grafik: BAG Bulletin 48 (2021).

 

Auch die PrEP (= orale HIV-Chemoprophylaxe) hat zur Abnahme der HIV-Neudiagnosen beigetragen: Ende 2020 nahmen mindestens 3000 Personen, überwiegend MSM, die PrEP als Schutz vor HIV. Der Blick nach London, wo die PrEP länger im Einsatz ist, lässt auf weiter sinkende HIV-Infektionen bei MSM hoffen: Demnach sind dank der PrEP die HIV-Infektionen bei MSM zwischen Oktober 2015 und September 2017 um 90 Prozent zurückgegangen. Und das bei gleichbleibender Anzahl HIV-Tests (s. Grafik). Aufgrund dieser Erfahrungen ist in der Schweiz auch für die kommenden Jahre ein rückläufiger Trend von HIV-Infektionen zu erwarten.

HIV-Neudiagnosen bei MSM in London: 90%iger Rückgang dank der PrEP. Grafik: HIV-Update von PD Dr. med. Dominique L. Braun (USZ) vom 15. März 2022.

HIV-Neudiagnosen bei MSM in London: 90%iger Rückgang dank der PrEP. Grafik: aidsmap.com in HIV-Update von PD Dr. med. Dominique L. Braun (USZ) vom 15. März 2022.

 

 

Langzeitinjektion für HIV-Therapie und PrEP in Sicht

Einen weiteren Meilenstein in der HIV-Therapie bedeuten Long-Acting-Medikamente: Das sind Medikamentendepots, die in Kombination von Tabletten und Langzeitinjektionen aufgebaut werden. So müssen HIV-Patient*innen nicht mehr täglich ihre Medikamente einnehmen. Dies könnte die Stigmatisierung in Zusammenhang mit der täglichen Medikamenteneinnahme reduzieren oder in vulnerablen Patientenpopulationen zu einer besseren Therapietreue führen.

Bei der Long-Acting-Therapie nehmen HIV-Patient*innen während eines Monats täglich zwei HIV-Medikamente oral ein. Im zweiten und dritten Monat erfolgt die Medikamentenabgabe der beiden Substanzen mittels Langzeitinjektion intramuskulär in den Gesässmuskel. Dieses Medikamentendepot wird danach alle zwei Monate aufgefrischt und erfordert eine genaue Planung. Denn das Zeitfenster für die Auffrischungsinjektion beträgt plus oder minus sieben Tage: Wer z. B. die letzte Langzeitinjektion am 15. April bekommt, kann die Auffrischung zwei Monate später zwischen dem 8. und 22. Juni vornehmen.

Gute Neuigkeiten betreffend Langzeitinjektionen gibt es auch bei der PrEP: Die Studie «HPTN 083» aus den USA zeigte gegenüber der täglichen Einnahme der PrEP eine signifikant höhere Wirksamkeit zur Risikoreduktion einer neuen HIV-Infektion. Das Risiko einer HIV-Infektion bestand hauptsächlich in der tiefen Therapietreue der Vergleichsgruppe (= unkorrekte PrEP-Einnahme). Somit spricht vieles für eine HIV-PrEP durch Langzeitinjektionen. Die Zulassung hierzu steht noch aus.

 

Warum eine HIV-Impfung-/Heilung noch nicht möglich ist

Im Zuge der raschen Impfstoffentwicklung während der Corona-Pandemie hat sich die breite Öffentlichkeit gefragt, ob dies auch im Falle von HIV möglich sei. Leider ist dies nicht der Fall, auch nicht in den nächsten fünf bis zehn Jahren. Denn das HI-Virus unterscheidet sich stark vom Coronavirus: Das HI-Virus mutiert sehr rasch und hat dadurch eine hohe genetische Vielfalt. Ausserdem versteckt es sich gut vor den Antikörpern. Zwar ermöglicht die mRNA-Technologie eine rasche Anpassung samt Studien und Produktion von Impfstoffen. Aber die Grundproblematik des komplexen HI-Virus löst sie dennoch nicht. Und: Das menschliche Immunsystem produziert bei HIV breit neutralisierende Antikörper nur sehr selten und wenn, dann erst spät. Ungelöst bleibt auch das ethische Dilemma, dass in HIV-Impfstudien keine Placebo-Gruppe eingeschlossen werden kann, um die genaue Wirksamkeit der Impfung ermitteln zu können.

Momentan gilt: Je früher eine HIV-Therapie beginnt, steigt mit zunehmendem medizinischen Fortschritt auch die Chance auf eine Heilung. Denn die Forschung bleibt weiterhin am Ball: Neben neuen Substanzklassen beschäftigt sie sich mit Therapieformen von breit neutralisierenden Antikörpern, Stammzelltransplantationen oder Genome Editing (Genscherenprinzip).

Quellen: BAG Bulletin 48 (2021), HIV-Update AHS Academy: Präsentation von PD Dr. med. Dominique L. Braun.

Ich bin HIV-positiv. Was muss ich darüber wissen?

Nach der Diagnose «HIV-positiv» ist eine ärztliche Betreuung wichtig. Bei rechtzeitiger Behandlung und erfolgreicher Therapie haben HIV-positive Menschen eine normale Lebenserwartung. Denn die HIV-Therapie fördert sowohl die Gesundheit als auch die Lebensqualität. Ferner verhindert die wirksame Therapie die Übertragung von HIV auf andere Sexualpartner*innen.

Trotz medizinischer Fortschritte bringt ein Leben mit HIV auch Ablehnung und Diskriminierung mit sich. Darum ist es wichtig, ein Augenmerk auf die psychische Gesundheit der Betroffenen zu legen.

Darüber hinaus gilt es, der Gesellschaft aktuelles Wissen zur HIV-Infektion und zur HIV-Therapie zu vermitteln. Durch dieses erweiterte Wissen und durch den persönlichen Kontakt zu HIV-positiven Menschen lassen sich Vorurteile abbauen, sodass HIV im gemeinsamen Alltag keine Rolle mehr spielt.

Unterstützung für HIV-Betroffene bietet die Fachstelle für Aids- und Sexualfragen in Kooperation mit einem Netzwerk aus Fachleuten und Anlaufstellen.

HIV-positiv: Medizinische Aspekte

HIV im Alltag


Diagnose «HIV-positiv»

Abgekürzt steht HIV für «Human Immune Deficiency Virus» – auf Deutsch: menschliches Immunschwäche-Virus. Das HI-Virus greift das menschliche Immunsystem an und schwächt es. Erst nach einem HIV-Bestätigungstest ist die Diagnose «HIV-positiv» zuverlässig.

Ohne Behandlung breitet sich das Virus unbeschränkt im Körper aus. Es zerstört dabei das Immunsystem so stark, dass sich dieses nicht mehr sicher gegen Krankheitserreger wehren kann. Das führt letztlich zu Aids und später zum Tod. Verhindern lässt sich das mit einer HIV-Therapie, bei der die Medikamente das Virus kontrollieren.

Obwohl HIV bis heute nicht heilbar ist, erholt sich das Immunsystem dank der HIV-Therapie relativ gut. Die Gesundheit bleibt somit geschützt. Die Krankheit Aids bricht nicht mehr aus. HIV-positive Menschen haben dank ihrer HIV-Therapie eine normale Lebenserwartung. Ausserdem sind HIV-positive Personen unter erfolgreicher Therapie nicht ansteckend. Sie geben das Virus bei ungeschütztem Sex nicht mehr weiter.


Verlauf einer HIV-Infektion

Das HI-Virus schwächt das Immunsystem. Geschieht dies über einen langen Zeitraum, kann das Immunsystem Krankheitserreger nicht mehr richtig bekämpfen. Es wird anfällig. Dies kann zu lebensbedrohlichen Erkrankungen führen. In diesem Fall ist die Rede von Aids. Aids ist die Abkürzung für Acquired Immune Deficiency Syndrome (= erworbenes Abwehrschwächesyndrom).

Phasen der HIV-Infektion

Wer sich nach einer HIV-Infektion nicht behandeln lässt, durchläuft von der Ansteckung mit dem HI-Virus bis zum Ausbruch von Aids drei Phasen. Die Dauer der einzelnen Phasen ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich und hängt von der jeweiligen Grundkonstitution ab. Demnach können zwischen der Infektion und dem Auftreten erster Symptome wenige Monate bis fünfzehn Jahre vergehen. In dieser Zeitspanne – auch Inkubationszeit genannt – leben HIV-positive Menschen ganz ohne Beschwerden.

 

Stadium 1: Primo-Infektion (= akute HIV-Infektion)

In den ersten Wochen nach der Infektion erhöht sich die Virenzahl rasant. Dabei treten oft Symptome wie bei einer Erkältung oder einer leichten Grippe auf: Fieber, Hautausschlag, Müdigkeit, Kopfschmerzen. Viele Betroffene und auch viele Ärzt*innen bemerken diese Symptome gar nicht oder bringen sie nicht mit einer HIV-Infektion in Zusammenhang. Während der Primo-Infektion ist die Übertragungsgefahr wegen der hohen Virenlast besonders gross.

Nach einigen Wochen verschwinden die Krankheitszeichen spontan, weil das Immunsystem auf den Angriff der HI-Viren reagiert hat. Danach ist der Verlauf der HIV-Infektion zunächst nicht weiter auffällig.

 

Stadium 2: Latenzphase (HIV-Infektion ohne oder nur mit allgemeinen Symptomen)

HIV-positive Menschen leben über Jahre hinweg überwiegend beschwerdefrei. Dennoch vermehrt sich das HI-Virus unbemerkt und belastet das Immunsystem dauerhaft. Dies führt zu einer chronischen Schwächung des Immunsystems. Ab einem bestimmten Punkt ist es nicht mehr in der Lage, sich ausreichend gegen Krankheitserreger zu wehren. Nun zeigen sich häufiger Anzeichen einer Immunschwäche – von Hauterkrankungen über andauernde Lymphknotenschwellungen bis hin zum starken Nachtschweiss sowie weiteren Symptomen.

 

Stadium 3: Aids

Aids ist nicht gleich HIV. Aids steht als Abkürzung für «Acquired Immune Deficiency Syndrome» – übersetzt ist Aids eine erworbene Schwäche des Immunsystems. Treten im Verlauf einer HIV-Infektion bestimmte Kombinationen von Krankheiten auf, ist die Rede von Aids. Im Stadium von Aids ist das Immunsystem stark beeinträchtigt. Es kann schwere, lebensbedrohliche Krankheiten nicht mehr verhindern.

Das Spektrum dieser Krankheiten ist gross: Krebserkrankungen, Lungenentzündungen oder Infektion der Speiseröhre mit dem Hefepilz Candida albicans. Nach dem Ausbruch von Aids sinkt die Lebenserwartung ohne Behandlung auf wenige Monate bis drei Jahre. Wird eine HIV-Infektion rechtzeitig erkannt, lässt sich Aids heutzutage mit Medikamenten oft verhindern. Ebenso bringen HIV-Medikamente Aids definierende Krankheiten unter Kontrolle.


HIV-Therapie

Auch wenn HIV noch nicht heilbar ist, so gibt es wirksame Medikamente in der Therapie. Mit ihnen führen HIV-positive Menschen ein normales Leben. Auch ihre (Sex-)Partner*innen sind vor einer Ansteckung geschützt: HIV-positive Menschen unter erfolgreicher Therapie sind nämlich nicht ansteckend.

Eine erfolgreich therapierte HIV-Infektion gilt heute als chronische Krankheit. Um die Gesundheit zu erhalten und die Lebensqualität zu fördern, ist es wichtig, möglichst rasch nach der Diagnose mit der HIV-Therapie zu starten.

Eine HIV-Therapie – auch hochaktive antiretrovirale Therapie (HAART) genannt – besteht in der Regel aus mindestens drei verschiedenen Wirkstoffen. Erst die Kombination verschiedener HIV-Medikamente wirkt ausreichend, da das HI-Virus schnell Resistenzen entwickeln kann. Diese Kombinationstherapie muss ein Leben lang erfolgen. Die aktuell verfügbaren HIV-Medikamente stoppen die Virusvermehrung in den Zellen des Immunsystems wirksam und senken die Viruslast. Allerdings ist bis heute keine vollständige Heilung möglich.

Vorteile der HIV-Therapie

Die HIV-Therapie verbessert den Gesundheitszustand, die Lebensqualität und Lebenserwartung von HIV-positiven Menschen markant. Eine wirksame Therapie gilt heute als Schutz vor eine HIV-Ansteckung. Das heisst: Erfolgreich therapierte Personen geben das Virus bei ungeschütztem Sexualverkehr nicht mehr weiter. Betroffene können ganz natürlich Kinder zeugen und gebären.

 

Nebenwirkungen der HIV-Therapie

Wie bei allen Medikamenten können auch bei der HIV-Therapie Nebenwirkungen auftreten – wie zum Beispiel Übelkeit, Durchfall oder Schlafstörungen. In den meisten Fällen geschieht dies während der ersten Wochen nach dem Therapiestart. Danach klingen die Nebenwirkungen meistens wieder ab. Manchmal muss ein HIV-Medikament durch ein anderes, verträglicheres ersetzt werden.

In der Arzneimitteltabelle für antiretrovirale Substanzen (HIV-Medikamente) finden Sie alle derzeit in der Schweiz zugelassene HIV-Medikamente, inkl. Dosierungsempfehlungen sowie relevanter Nebenwirkungen.

 

Compliance: Therapietreue bzw. Einhalten der Therapievorgaben

Damit die HIV-Therapie erfolgreich und wirksam ist, erfordert es eine hohe Therapietreue, die sogenannte Compliance: Die Einnahme der HIV-Medikamente muss konsequent und gemäss ärztlicher Verordnung ein Leben lang erfolgen. Für manche Personen ist es nicht einfach, die Therapieanforderungen zu erfüllen. Ist die Therapietreue mangelhaft, beeinträchtigt dies die Wirksamkeit der Medikamente stark und begünstigt die Entwicklung von HIV-Resistenzen gegen die eingesetzten Medikamente.

Manchmal gibt es Umstände, die es erschweren, die Medikamente über eine längere Zeit richtig einzunehmen. Ist das der Fall, können behandelnde Ärzt*innen bei Schwierigkeiten hilfreiche Tipps geben. Auch können sie die Therapie so verändern, dass sie sich besser in den Alltag integrieren lässt. Voraussetzung dafür ist, Schwierigkeiten im Umgang mit der Therapie zu kommunizieren.


Co-Infektion: leichtere HIV-Übertragung durch andere STI

HIV lässt sich bei ungeschütztem Sex leichter übertragen, wenn bereits eine sexuell übertragbare Infektion (STI) vorliegt. Grund dafür sind Entzündungen und kleine Verletzungen, insbesondere auf den Schleimhäuten, die durch die STI verursacht werden können. Diese bleiben oft unbemerkt und bilden einen Weg, über den HIV leichter in den Körper eindringen kann. Wegen der Reizungen wandern zudem verstärkt Immunzellen in die betroffenen Schleimhäute. Weil das HI-Virus die körpereigenen Abwehrkräfte befällt, wird dadurch eine Aufnahme von HIV wahrscheinlicher.

Leichtere HIV-Übertragung bei vorhandenen STI

Wer HIV-positiv und noch nicht in Behandlung ist, steckt andere Menschen leichter mit dem HI-Virus an. Ebenso bei einer zusätzlich vorhandenen Geschlechtskrankheit: Die meisten anderen Geschlechtskrankheiten (STI) können Schleimhäute im Genitalbereich entzünden. Damit entstehen ideale Ein- und Austrittspforten für HIV.

Bei einem akuten Genitalherpes beispielsweise ist das HIV-Übertragungsrisiko bis zu 16-mal, bei einer Syphilis-Infektion 3- bis 5-mal höher. Liegt also eine zusätzliche Geschlechtskrankheit vor, sind HIV-positive Menschen ohne Therapie deutlich ansteckender. Ferner sind Menschen mit HIV wegen ihres geschwächten Immunsystems anfälliger für die Infektion mit anderen Geschlechtskrankheiten.

 

Behandlung von STI

Wer sich als HIV-positiver Mensch mit einer anderen Geschlechtskrankheit infiziert, hat oftmals einen komplizierteren Verlauf. Auch lässt sich die Infektion weniger leicht als bei HIV-negativen Menschen behandeln. Spezielle Herausforderungen ergeben sich nämlich für HIV-positive Personen bei den Therapien der Geschlechtskrankheiten: Die STI-Therapien gilt es, wegen möglicher Wechselwirkungen auf die HIV-Therapie abzustimmen. Geschlechtskrankheiten nehmen bei HIV-positiven Menschen zudem oft einen anderen Verlauf als bei HIV-negativen. Einige Geschlechtskrankheiten (wie etwa Chlamydien) erfordern zudem eine längere Behandlungsdauer.


#undetectable: HIV-positiv und nicht ansteckend

Befolgen HIV-positive Menschen ihre HIV-Therapie nach Plan und ist ihre Virenlast nicht mehr nachweisbar, sind sie nicht mehr ansteckend. Sie können also Sex ohne Kondom und ohne PrEP praktizieren, ohne zu befürchten, ihre*n Partner*in anzustecken.

Therapie als Schutz

Dass Kondome eine HIV-Infektion verhindern, ist längst bekannt. Seit einigen Jahren ist auch die Schutzmöglichkeit durch HIV-Medikamente medizinisch anerkannt. Wie Studien nachgewiesen haben, senkt eine konsequent eingehaltene HIV-Therapie die Virusmenge im Körper so stark, dass sich das Virus beim Sex nicht mehr übertragen lässt.

Dazu müssen drei Bedingungen erfüllt sein:

  • Die Betroffenen nehmen ihre HIV-Medikamente regelmässig ein.
  • Eine Ärztin oder ein Arzt kontrolliert regelmässig die Blutwerte.
  • Die Virusmenge im Blut liegt unter der Nachweisgrenze.

Unter diesen Voraussetzungen kann beim Sex auf das Kondom verzichtet werden. Allerdings schützen die HIV-Medikamente nicht vor der Infektion mit anderen sexuell übertragbaren Krankheiten (STI).


Psychische Gesundheit

Die körperliche und die psychische Gesundheit gehen Hand in Hand. Sie tragen zum ganzheitlichen Wohlbefinden von Menschen bei. Für eine erfolgreiche HIV-Therapie ist die psychische Gesundheit ein zentraler Faktor. Darum ist es wichtig, sich nicht nur um die körperliche Gesundheit zu kümmern, sondern auch Strategien zu haben, die die eigene psychische Gesundheit unterstützen. Aufgrund der heutigen Kenntnisse ist bekannt, dass die Balance zwischen körperlichem und seelischem Wohlbefinden den ganzen Menschen in seinem Wesen positiv beeinflusst.

HIV und Depression

Jede fünfte Person in der Schweiz leidet im Verlauf ihres Lebens an einer Depression. Chronisch kranke Menschen – so auch Menschen mit HIV – sind dabei besonders gefährdet.

Depressionen betreffen meistens den ganzen Menschen. Sie bestehen nicht bloss aus Stimmungstiefs. Sie dauern länger und wirken sich auf den beruflichen Alltag oder auf das Privatleben negativ aus. Demgegenüber existieren heute gute Behandlungsmöglichkeiten. Der wichtigste Schritt aus einer Depression heraus ist es, eine solche überhaupt zu erkennen und professionell behandeln zu lassen.

Faktoren, die bei HIV-positiven Menschen zu einer seelischen Krise führen können, sind beispielsweise medizinische Aspekte wie:

  • der Erhalt des positiven Testergebnisses
  • der Einstieg in die antiretrovirale Therapie
  • die Nebenwirkungen der Therapie

Die Angst vor Ausgrenzung, Stigma und Zurückweisung kann einen zusehends verunsichern und existentielle Ängste hervorrufen. Das wiederum vermindert die Widerstandsfähigkeit (= Resilienz).

 

Wenn Angst den Alltag dominiert

Menschen mit HIV können Ängste entwickeln, die ihren Alltag so beeinflussen, dass sie sich gehindert fühlen. Die Ängste können dabei unterschiedlich sein:

  • Angst vor dem sozialen oder beruflichen Ausschluss
  • Angst vor den Langzeitfolgen der Medikamente oder vor einer Ansteckung mit weiteren Krankheiten
  • Angst, den*die Partner*in anzustecken

Es ist wichtig, achtsam mit sich und den eigenen Gefühlen umzugehen. Nach einer HIV-Diagnose braucht es Zeit, sich an die neue Situation zu gewöhnen.

In der Partnerschaft gilt es, eine Kommunikation zu entwickeln, die einem zwei Dinge erlaubt: Zum einen, über Ängste und Unsicherheiten zu sprechen; zum anderen aber auch über den vielleicht anderen Umgang mit der eigenen Sexualität.

In solchen Situationen kann es entlastend sein, externe Hilfe in Anspruch zu nehmen. Sei dies in Form einer Begleitung durch eine Ärztin oder einen Arzt oder in Form eines therapeutischen Settings.


Reden über HIV

Je nachdem, wie sich eine betroffene Person mit ihrer HIV-Diagnose auseinandergesetzt hat, kann sie entscheiden, wem sie von ihrer HIV-Infektion erzählt und wem nicht. Wichtig dabei ist es, auf das innere Gefühl zu hören. Auch kann Ihnen der Leitfaden zur Partnerinformation helfen.

Safer-Sex-Regeln sind zentral

Wer unter wirksamer Therapie ist, wer geschützten Sex praktiziert oder wer seine Sexualpartner*innen über die HIV-Infektion informiert, kann heute nicht mehr strafrechtlich verfolgt werden.

Wer zum Zeitpunkt des ungeschützten Sexualverkehrs keine nachweisbare Viruslast mehr hat, wird strafrechtlich in der Regel nicht mehr belangt. Auch dann nicht, wenn Sie den*die Partner*in vor dem Sexualverkehr nicht über Ihre HIV-Infektion informieren.

Wichtig ist, dass Sie die Safer-Sex-Regeln einhalten. Dies kann auch eine wirksame Therapie sein. Versagt das Kondom und steht eine*r der Partner*in nicht unter wirksamer Therapie, so ist die andere Person über das Übertragungsrisiko zu informieren. So kann diese innert 48 Stunden eine ärztlich begleitete Post-Expositions-Prophylaxe (PEP) in Anspruch nehmen.

 

Rechtzeitig kommunizieren

Oft erfolgt die Infektion mit HIV in festen Partnerschaften. Wer von seiner HIV-Ansteckung nichts weiss, infiziert unwissentlich andere Personen. Darum ist es bei einer HIV-positiven Diagnose zentral, den*die Sexualpartner*in früh zu informieren und eine Weiterverbreitung zu verhindern. Im Leitfaden zur Partnerinformation finden Sie hilfreiche Tipps.

Auch wenn ein*e Partner*in keine Krankheitszeichen hat, sollte er*sie sich unbedingt so früh als möglich testen und behandeln lassen. Im Falle einer HIV-Infektion tragen eine frühe Diagnose sowie ein rechtzeitiger Therapiestart entscheidend zu einer erfolgreichen Behandlung bei.

 

Chancen und Risiken

Gerade in der ersten akuten Krise nach der Diagnose und im Verlauf einer Therapie kann eine Vertrauensperson eine grosse Stütze sein. Das Kommunizieren einer HIV-Diagnose unterliegt dem Datenschutz. Ohne Einverständnis der betroffenen Person darf diese Information nicht weitergegeben werden. Partner*innen sind darauf hinzuweisen, dass die Datenschutzverletzung rechtliche Folgen haben kann.

Ob jemand den*die Partner*in informieren will, ist zunächst eine ganz persönliche Entscheidung. Dennoch sind vorher auch mögliche Konsequenzen abzuwägen: Nicht alle Menschen können mit der Nachricht gleich gut umgehen. Manche sind möglicherweise überfordert, manche ziehen sich zurück. Wer mehr über das Leben mit HIV Bescheid weiss, baut Vorurteile und Ängste ab. Darum kann eine professionelle Partnerschaftsberatung unterstützend sein.

 

HIV-Coming-out: Wie sage ich es den anderen?

Wer sich überlegt, andere Menschen über die eigene HIV-Diagnose zu informieren, sollte sich davor selber mit der Situation gut auseinandergesetzt haben. Dies ermöglicht eine selbstbewusstere Haltung im Umgang mit der Krankheit.

Ob in der Partnerschaft, im Familien- und Freundeskreis oder im Job: Wer um die eigene HIV-Diagnose kein Geheimnis machen muss, geht selbstbewusster und freier damit um. In jedem Fall gilt es auch dort, gut zu prüfen, wie die anderen Personen mit der Information umgehen können. Ebenso am Arbeitsplatz: Denn genau dort geschehen häufig Datenschutzverletzungen, die weitreichende Folgen haben können – sogar bis zur Entlassung. Allerdings ist der Arbeitgeber nicht befugt, nach dem HIV-Status zu fragen oder diese Information weiterzugeben.

Lesen Sie dazu auch die Broschüre «Job und HIV» mit nützlichen Tipps und Anlaufstellen.

Oft jedoch sind beim Antritt einer neuen Stelle Gesundheitsformulare der Versicherungen auszufüllen (Pensionskasse und Krankentaggeldversicherung), sodass eine HIV-positive Diagnose enthalten sein kann. Weil diese Gesundheitsformulare wahrheitsgemäss ausgefüllt werden müssen, lohnt es sich, vorher Abklärungen zu treffen, inwieweit man sich als Betroffene*r vor Diskriminierungen schützen kann.

Hierzu gibt es Rechtsberatungen, die Sie in Anspruch nehmen dürfen:

Aids-Hilfe Schweiz (Rechtsberatung und Diskriminierungsmeldung)

Rechtsratgeber für Menschen mit HIV


Beziehung, Sexualität und Kinderwunsch

Die Diagnose «HIV-positiv» bedeutet nicht, auf Beziehungen und Sex verzichten zu müssen.

Safer-Sex und Therapie

HIV-positive Menschen sind unter einer erfolgreichen HIV-Therapie nicht ansteckend, sofern ihre Virenlast unter der Nachweisgrenze liegt. Damit können sie ungeschützten Sex haben, ohne zu befürchten, jemanden anzustecken. Die Therapie ist eine von verschiedenen Strategien zu Safer Sex .

Der Schutz vor einer möglichen HIV-Ansteckung mit einer HIV-positiven Person liegt in der gemeinsamen Verantwortung beider Partner*innen: Sie entscheiden gemeinsam, wie Sie sich schützen – ob mit Kondomen oder mit der wirksamen HIV-Therapie. Ungeachtet dessen können HIV-positive Personen in der Schweiz, die ungeschützten Geschlechtsverkehr haben, strafrechtlich verfolgt werden.

 

Andere Geschlechtskrankheiten (STI)

Leider schützen die HIV-Medikamente nicht vor der Ansteckung mit anderen Geschlechtskrankheiten. Darum tragen HIV-positive Personen besondere Gesundheitsrisiken im Kontext mit Geschlechtskrankheiten. Mehr zur Co-Infektion.

 

Kinderwunsch

Wer sich Kinder wünscht, muss wegen einer HIV-Infektion nicht auf sie verzichten. Mit der antiretroviralen Therapie sind einerseits die Lebenserwartung und die Lebensqualität von HIV-positiven Menschen stark gestiegen. Andererseits sind die Risiken einer Übertragung auf den*die Partner*in sowie auf das Baby praktisch auf null gesunken.

Mehr dazu

Historisch tief: Die HIV-Neudiagnosen in der Schweiz sind 2020 erstmals unter die Grenze von 300 Ansteckungen pro Jahr auf 290 gesunken. Grafik: BAG Bulletin 48 (2021).

HIV-Update: Neudiagnosen, PrEP und Zukunftsaussichten

6. April 2022

Die HIV-Neudiagnosen in der Schweiz sind 2020 erstmals unter die Grenze von 300 Ansteckungen pro Jahr auf 290 gesunken. Das ist ein historisches Tief. Der abnehmende Trend lässt sich seit 2008 beobachten und hält weiter an.

Text: Predrag Jurisic
Beitragsbild und Grafiken im Text: BAG Bulletin 48 (2021), aidsmap.com, PD Dr. med. Dominique L. Braun

Seit Beginn der HIV-Epidemie Anfang der 1980er-Jahre hat das Bundesamt für Gesundheit (BAG) weniger als 300 Fälle gemeldet, nämlich 290. Im Vergleich dazu waren es in den 1990er-Jahren im Durchschnitt 1300 Fälle jährlich. Zu diesem erfreulichen Resultat beigetragen haben drei Dinge: vermehrte Tests bei besonders exponierten Personengruppen, eine immer früher einsetzende HIV-Therapie sowie die Präexpositionsprophylaxe (PrEP).

 

Historisch tief: Die HIV-Neudiagnosen in der Schweiz sind 2020 erstmals unter die Grenze von 300 Ansteckungen pro Jahr auf 290 gesunken. Grafik: BAG Bulletin 48 (2021).

Historisch tief: Die HIV-Neudiagnosen in der Schweiz sind 2020 erstmals unter die Grenze von 300 Ansteckungen pro Jahr auf 290 gesunken. Grafik: BAG Bulletin 48 (2021).

 

Corona-Pandemie: Einfluss auf HIV-/STI-Neudiagnosen?

PD Dr. med. Dominique L. Braun, Oberarzt an der Klinik für Infektionskrankheiten und Spitalhygiene des Universitätsspitals Zürich (USZ), sagt dazu anlässlich des HIV-Updates der Aids-Hilfe Schweiz: «Die Pandemie hatte einen Einfluss, der sich noch nicht genau verorten lässt.» Am Universitätsspital Zürich gab es deutlich weniger HIV-Neudiagnosen im Vergleich zu den Vorjahren. Beim Checkpoint Zürich sah die Lage wieder anders aus: Dort gab es wöchentlich eine HIV-Neudiagnose.

Bei den STI-Diagnosen lagen die beobachteten Fallzahlen ebenfalls unter den zu erwarteten Fallzahlen (s. Grafik). Dies könnte ein Indiz dafür sein, dass die Corona-Pandemie einen Einfluss auf die HIV-/STI-Ansteckungen hatte. Die möglichen Gründe dafür:

  • weniger häufige Tests bzw. Zurückhaltung beim Aufsuchen von medizinischen Einrichtungen
  • verschobene Präventionskampagnen wegen der Pandemiemassnahmen
  • allgemein weniger soziale Kontakte und damit weniger sexuelle Risikosituationen als vor der Pandemie
  • temporäre Schliessungen von Bordellen und Clubs

 

HIV-/STI-Neudiagnosen 2020

HIV-/STI-Neudiagnosen 2020. Grafik: BAG Bulletin 48 in HIV-Update von PD Dr. med. Dominique L. Braun (USZ) vom 15. März 2022.

 

 

Männer am meisten von HIV betroffen

79 Prozent aller gemeldeten HIV-Fälle in der Schweiz betrafen im Jahr 2020 Männer. Dabei war Sex mit anderen Männern (MSM) der meist genannte Ansteckungsweg mit 50,8 Prozent. An zweiter Stelle standen heterosexuelle Kontakte mit 26,5 Prozent. Bei 2,2 Prozent der HIV-Diagnosen war das Benutzen von kontaminiertem Spritzbesteck bei intravenösem Drogenkonsum (IDU) der Grund für die Ansteckung. Bei rund 20 Prozent der HIV-Diagnosen bei Männern liess sich der Ansteckungsweg nicht ermitteln.

Die HIV-Infektionen bei den Frauen erfolgten mit 69,6 Prozent hauptsächlich über heterosexuelle Kontakte. Die anderen 30,4 Prozent liessen sich nicht ergründen.

 

HIV-Neudiagnosen 2020 bei Männern und Frauen

HIV-Neudiagnosen 2020 bei Männern und Frauen. Erklärung zu Abkürzungen: MSM: Männer, die mit Männern Sex haben. IDU: intravenous drug user (= intravenöser Drogenkonsum). Grafik: BAG Bulletin 48 in HIV-Update von PD Dr. med. Dominique L. Braun (USZ) vom 15. März 2022.

 

Rückgang der HIV-Infektionen dank HIV-Therapie und PrEP

In der Schweiz sind rund 17’100 Menschen mit HIV infiziert. Davon kennen 93 Prozent ihre Diagnose. 98 Prozent der Personen mit HIV-Diagnose erhalten eine medikamentöse HIV-Therapie. Von denen wiederum haben 96 Prozent eine Viruslast unter der Nachweisgrenze. Sie geben das Virus also nicht mehr weiter. Die Schweiz liegt damit im weltweiten Vergleich weit vorn und hat das WHO-Ziel 90-90-90* übertroffen.

*WHO-Ziel bis 2020:

  • 90 Prozent aller Infizierten kennen ihre HIV-Diagnose
  • 90 Prozent aller diagnostizierten Personen erhalten eine HIV-Therapie
  • 90 Prozent aller therapierten Personen sind unter der Nachweisgrenze und geben das Virus nicht mehr weiter
HIV-Kaskade. Grafik: BAG Bulletin 48 (2021).

HIV-Kaskade: Anzahl infizierter, diagnostizierter und therapierter Personen bzw. Personen unter der der Nachweisgrenze. Grafik: BAG Bulletin 48 (2021).

 

Auch die PrEP (= orale HIV-Chemoprophylaxe) hat zur Abnahme der HIV-Neudiagnosen beigetragen: Ende 2020 nahmen mindestens 3000 Personen, überwiegend MSM, die PrEP als Schutz vor HIV. Der Blick nach London, wo die PrEP länger im Einsatz ist, lässt auf weiter sinkende HIV-Infektionen bei MSM hoffen: Demnach sind dank der PrEP die HIV-Infektionen bei MSM zwischen Oktober 2015 und September 2017 um 90 Prozent zurückgegangen. Und das bei gleichbleibender Anzahl HIV-Tests (s. Grafik). Aufgrund dieser Erfahrungen ist in der Schweiz auch für die kommenden Jahre ein rückläufiger Trend von HIV-Infektionen zu erwarten.

HIV-Neudiagnosen bei MSM in London: 90%iger Rückgang dank der PrEP. Grafik: HIV-Update von PD Dr. med. Dominique L. Braun (USZ) vom 15. März 2022.

HIV-Neudiagnosen bei MSM in London: 90%iger Rückgang dank der PrEP. Grafik: aidsmap.com in HIV-Update von PD Dr. med. Dominique L. Braun (USZ) vom 15. März 2022.

 

 

Langzeitinjektion für HIV-Therapie und PrEP in Sicht

Einen weiteren Meilenstein in der HIV-Therapie bedeuten Long-Acting-Medikamente: Das sind Medikamentendepots, die in Kombination von Tabletten und Langzeitinjektionen aufgebaut werden. So müssen HIV-Patient*innen nicht mehr täglich ihre Medikamente einnehmen. Dies könnte die Stigmatisierung in Zusammenhang mit der täglichen Medikamenteneinnahme reduzieren oder in vulnerablen Patientenpopulationen zu einer besseren Therapietreue führen.

Bei der Long-Acting-Therapie nehmen HIV-Patient*innen während eines Monats täglich zwei HIV-Medikamente oral ein. Im zweiten und dritten Monat erfolgt die Medikamentenabgabe der beiden Substanzen mittels Langzeitinjektion intramuskulär in den Gesässmuskel. Dieses Medikamentendepot wird danach alle zwei Monate aufgefrischt und erfordert eine genaue Planung. Denn das Zeitfenster für die Auffrischungsinjektion beträgt plus oder minus sieben Tage: Wer z. B. die letzte Langzeitinjektion am 15. April bekommt, kann die Auffrischung zwei Monate später zwischen dem 8. und 22. Juni vornehmen.

Gute Neuigkeiten betreffend Langzeitinjektionen gibt es auch bei der PrEP: Die Studie «HPTN 083» aus den USA zeigte gegenüber der täglichen Einnahme der PrEP eine signifikant höhere Wirksamkeit zur Risikoreduktion einer neuen HIV-Infektion. Das Risiko einer HIV-Infektion bestand hauptsächlich in der tiefen Therapietreue der Vergleichsgruppe (= unkorrekte PrEP-Einnahme). Somit spricht vieles für eine HIV-PrEP durch Langzeitinjektionen. Die Zulassung hierzu steht noch aus.

 

Warum eine HIV-Impfung-/Heilung noch nicht möglich ist

Im Zuge der raschen Impfstoffentwicklung während der Corona-Pandemie hat sich die breite Öffentlichkeit gefragt, ob dies auch im Falle von HIV möglich sei. Leider ist dies nicht der Fall, auch nicht in den nächsten fünf bis zehn Jahren. Denn das HI-Virus unterscheidet sich stark vom Coronavirus: Das HI-Virus mutiert sehr rasch und hat dadurch eine hohe genetische Vielfalt. Ausserdem versteckt es sich gut vor den Antikörpern. Zwar ermöglicht die mRNA-Technologie eine rasche Anpassung samt Studien und Produktion von Impfstoffen. Aber die Grundproblematik des komplexen HI-Virus löst sie dennoch nicht. Und: Das menschliche Immunsystem produziert bei HIV breit neutralisierende Antikörper nur sehr selten und wenn, dann erst spät. Ungelöst bleibt auch das ethische Dilemma, dass in HIV-Impfstudien keine Placebo-Gruppe eingeschlossen werden kann, um die genaue Wirksamkeit der Impfung ermitteln zu können.

Momentan gilt: Je früher eine HIV-Therapie beginnt, steigt mit zunehmendem medizinischen Fortschritt auch die Chance auf eine Heilung. Denn die Forschung bleibt weiterhin am Ball: Neben neuen Substanzklassen beschäftigt sie sich mit Therapieformen von breit neutralisierenden Antikörpern, Stammzelltransplantationen oder Genome Editing (Genscherenprinzip).

Quellen: BAG Bulletin 48 (2021), HIV-Update AHS Academy: Präsentation von PD Dr. med. Dominique L. Braun.

Historisch tief: Die HIV-Neudiagnosen in der Schweiz sind 2020 erstmals unter die Grenze von 300 Ansteckungen pro Jahr auf 290 gesunken. Grafik: BAG Bulletin 48 (2021).

HIV-Update: Neudiagnosen, PrEP und Zukunftsaussichten

6. April 2022

Die HIV-Neudiagnosen in der Schweiz sind 2020 erstmals unter die Grenze von 300 Ansteckungen pro Jahr auf 290 gesunken. Das ist ein historisches Tief. Der abnehmende Trend lässt sich seit 2008 beobachten und hält weiter an.

Text: Predrag Jurisic
Beitragsbild und Grafiken im Text: BAG Bulletin 48 (2021), aidsmap.com, PD Dr. med. Dominique L. Braun

Seit Beginn der HIV-Epidemie Anfang der 1980er-Jahre hat das Bundesamt für Gesundheit (BAG) weniger als 300 Fälle gemeldet, nämlich 290. Im Vergleich dazu waren es in den 1990er-Jahren im Durchschnitt 1300 Fälle jährlich. Zu diesem erfreulichen Resultat beigetragen haben drei Dinge: vermehrte Tests bei besonders exponierten Personengruppen, eine immer früher einsetzende HIV-Therapie sowie die Präexpositionsprophylaxe (PrEP).

 

Historisch tief: Die HIV-Neudiagnosen in der Schweiz sind 2020 erstmals unter die Grenze von 300 Ansteckungen pro Jahr auf 290 gesunken. Grafik: BAG Bulletin 48 (2021).

Historisch tief: Die HIV-Neudiagnosen in der Schweiz sind 2020 erstmals unter die Grenze von 300 Ansteckungen pro Jahr auf 290 gesunken. Grafik: BAG Bulletin 48 (2021).

 

Corona-Pandemie: Einfluss auf HIV-/STI-Neudiagnosen?

PD Dr. med. Dominique L. Braun, Oberarzt an der Klinik für Infektionskrankheiten und Spitalhygiene des Universitätsspitals Zürich (USZ), sagt dazu anlässlich des HIV-Updates der Aids-Hilfe Schweiz: «Die Pandemie hatte einen Einfluss, der sich noch nicht genau verorten lässt.» Am Universitätsspital Zürich gab es deutlich weniger HIV-Neudiagnosen im Vergleich zu den Vorjahren. Beim Checkpoint Zürich sah die Lage wieder anders aus: Dort gab es wöchentlich eine HIV-Neudiagnose.

Bei den STI-Diagnosen lagen die beobachteten Fallzahlen ebenfalls unter den zu erwarteten Fallzahlen (s. Grafik). Dies könnte ein Indiz dafür sein, dass die Corona-Pandemie einen Einfluss auf die HIV-/STI-Ansteckungen hatte. Die möglichen Gründe dafür:

  • weniger häufige Tests bzw. Zurückhaltung beim Aufsuchen von medizinischen Einrichtungen
  • verschobene Präventionskampagnen wegen der Pandemiemassnahmen
  • allgemein weniger soziale Kontakte und damit weniger sexuelle Risikosituationen als vor der Pandemie
  • temporäre Schliessungen von Bordellen und Clubs

 

HIV-/STI-Neudiagnosen 2020

HIV-/STI-Neudiagnosen 2020. Grafik: BAG Bulletin 48 in HIV-Update von PD Dr. med. Dominique L. Braun (USZ) vom 15. März 2022.

 

 

Männer am meisten von HIV betroffen

79 Prozent aller gemeldeten HIV-Fälle in der Schweiz betrafen im Jahr 2020 Männer. Dabei war Sex mit anderen Männern (MSM) der meist genannte Ansteckungsweg mit 50,8 Prozent. An zweiter Stelle standen heterosexuelle Kontakte mit 26,5 Prozent. Bei 2,2 Prozent der HIV-Diagnosen war das Benutzen von kontaminiertem Spritzbesteck bei intravenösem Drogenkonsum (IDU) der Grund für die Ansteckung. Bei rund 20 Prozent der HIV-Diagnosen bei Männern liess sich der Ansteckungsweg nicht ermitteln.

Die HIV-Infektionen bei den Frauen erfolgten mit 69,6 Prozent hauptsächlich über heterosexuelle Kontakte. Die anderen 30,4 Prozent liessen sich nicht ergründen.

 

HIV-Neudiagnosen 2020 bei Männern und Frauen

HIV-Neudiagnosen 2020 bei Männern und Frauen. Erklärung zu Abkürzungen: MSM: Männer, die mit Männern Sex haben. IDU: intravenous drug user (= intravenöser Drogenkonsum). Grafik: BAG Bulletin 48 in HIV-Update von PD Dr. med. Dominique L. Braun (USZ) vom 15. März 2022.

 

Rückgang der HIV-Infektionen dank HIV-Therapie und PrEP

In der Schweiz sind rund 17’100 Menschen mit HIV infiziert. Davon kennen 93 Prozent ihre Diagnose. 98 Prozent der Personen mit HIV-Diagnose erhalten eine medikamentöse HIV-Therapie. Von denen wiederum haben 96 Prozent eine Viruslast unter der Nachweisgrenze. Sie geben das Virus also nicht mehr weiter. Die Schweiz liegt damit im weltweiten Vergleich weit vorn und hat das WHO-Ziel 90-90-90* übertroffen.

*WHO-Ziel bis 2020:

  • 90 Prozent aller Infizierten kennen ihre HIV-Diagnose
  • 90 Prozent aller diagnostizierten Personen erhalten eine HIV-Therapie
  • 90 Prozent aller therapierten Personen sind unter der Nachweisgrenze und geben das Virus nicht mehr weiter
HIV-Kaskade. Grafik: BAG Bulletin 48 (2021).

HIV-Kaskade: Anzahl infizierter, diagnostizierter und therapierter Personen bzw. Personen unter der der Nachweisgrenze. Grafik: BAG Bulletin 48 (2021).

 

Auch die PrEP (= orale HIV-Chemoprophylaxe) hat zur Abnahme der HIV-Neudiagnosen beigetragen: Ende 2020 nahmen mindestens 3000 Personen, überwiegend MSM, die PrEP als Schutz vor HIV. Der Blick nach London, wo die PrEP länger im Einsatz ist, lässt auf weiter sinkende HIV-Infektionen bei MSM hoffen: Demnach sind dank der PrEP die HIV-Infektionen bei MSM zwischen Oktober 2015 und September 2017 um 90 Prozent zurückgegangen. Und das bei gleichbleibender Anzahl HIV-Tests (s. Grafik). Aufgrund dieser Erfahrungen ist in der Schweiz auch für die kommenden Jahre ein rückläufiger Trend von HIV-Infektionen zu erwarten.

HIV-Neudiagnosen bei MSM in London: 90%iger Rückgang dank der PrEP. Grafik: HIV-Update von PD Dr. med. Dominique L. Braun (USZ) vom 15. März 2022.

HIV-Neudiagnosen bei MSM in London: 90%iger Rückgang dank der PrEP. Grafik: aidsmap.com in HIV-Update von PD Dr. med. Dominique L. Braun (USZ) vom 15. März 2022.

 

 

Langzeitinjektion für HIV-Therapie und PrEP in Sicht

Einen weiteren Meilenstein in der HIV-Therapie bedeuten Long-Acting-Medikamente: Das sind Medikamentendepots, die in Kombination von Tabletten und Langzeitinjektionen aufgebaut werden. So müssen HIV-Patient*innen nicht mehr täglich ihre Medikamente einnehmen. Dies könnte die Stigmatisierung in Zusammenhang mit der täglichen Medikamenteneinnahme reduzieren oder in vulnerablen Patientenpopulationen zu einer besseren Therapietreue führen.

Bei der Long-Acting-Therapie nehmen HIV-Patient*innen während eines Monats täglich zwei HIV-Medikamente oral ein. Im zweiten und dritten Monat erfolgt die Medikamentenabgabe der beiden Substanzen mittels Langzeitinjektion intramuskulär in den Gesässmuskel. Dieses Medikamentendepot wird danach alle zwei Monate aufgefrischt und erfordert eine genaue Planung. Denn das Zeitfenster für die Auffrischungsinjektion beträgt plus oder minus sieben Tage: Wer z. B. die letzte Langzeitinjektion am 15. April bekommt, kann die Auffrischung zwei Monate später zwischen dem 8. und 22. Juni vornehmen.

Gute Neuigkeiten betreffend Langzeitinjektionen gibt es auch bei der PrEP: Die Studie «HPTN 083» aus den USA zeigte gegenüber der täglichen Einnahme der PrEP eine signifikant höhere Wirksamkeit zur Risikoreduktion einer neuen HIV-Infektion. Das Risiko einer HIV-Infektion bestand hauptsächlich in der tiefen Therapietreue der Vergleichsgruppe (= unkorrekte PrEP-Einnahme). Somit spricht vieles für eine HIV-PrEP durch Langzeitinjektionen. Die Zulassung hierzu steht noch aus.

 

Warum eine HIV-Impfung-/Heilung noch nicht möglich ist

Im Zuge der raschen Impfstoffentwicklung während der Corona-Pandemie hat sich die breite Öffentlichkeit gefragt, ob dies auch im Falle von HIV möglich sei. Leider ist dies nicht der Fall, auch nicht in den nächsten fünf bis zehn Jahren. Denn das HI-Virus unterscheidet sich stark vom Coronavirus: Das HI-Virus mutiert sehr rasch und hat dadurch eine hohe genetische Vielfalt. Ausserdem versteckt es sich gut vor den Antikörpern. Zwar ermöglicht die mRNA-Technologie eine rasche Anpassung samt Studien und Produktion von Impfstoffen. Aber die Grundproblematik des komplexen HI-Virus löst sie dennoch nicht. Und: Das menschliche Immunsystem produziert bei HIV breit neutralisierende Antikörper nur sehr selten und wenn, dann erst spät. Ungelöst bleibt auch das ethische Dilemma, dass in HIV-Impfstudien keine Placebo-Gruppe eingeschlossen werden kann, um die genaue Wirksamkeit der Impfung ermitteln zu können.

Momentan gilt: Je früher eine HIV-Therapie beginnt, steigt mit zunehmendem medizinischen Fortschritt auch die Chance auf eine Heilung. Denn die Forschung bleibt weiterhin am Ball: Neben neuen Substanzklassen beschäftigt sie sich mit Therapieformen von breit neutralisierenden Antikörpern, Stammzelltransplantationen oder Genome Editing (Genscherenprinzip).

Quellen: BAG Bulletin 48 (2021), HIV-Update AHS Academy: Präsentation von PD Dr. med. Dominique L. Braun.

Historisch tief: Die HIV-Neudiagnosen in der Schweiz sind 2020 erstmals unter die Grenze von 300 Ansteckungen pro Jahr auf 290 gesunken. Grafik: BAG Bulletin 48 (2021).

HIV-Update: Neudiagnosen, PrEP und Zukunftsaussichten

6. April 2022

Die HIV-Neudiagnosen in der Schweiz sind 2020 erstmals unter die Grenze von 300 Ansteckungen pro Jahr auf 290 gesunken. Das ist ein historisches Tief. Der abnehmende Trend lässt sich seit 2008 beobachten und hält weiter an.

Text: Predrag Jurisic
Beitragsbild und Grafiken im Text: BAG Bulletin 48 (2021), aidsmap.com, PD Dr. med. Dominique L. Braun

Seit Beginn der HIV-Epidemie Anfang der 1980er-Jahre hat das Bundesamt für Gesundheit (BAG) weniger als 300 Fälle gemeldet, nämlich 290. Im Vergleich dazu waren es in den 1990er-Jahren im Durchschnitt 1300 Fälle jährlich. Zu diesem erfreulichen Resultat beigetragen haben drei Dinge: vermehrte Tests bei besonders exponierten Personengruppen, eine immer früher einsetzende HIV-Therapie sowie die Präexpositionsprophylaxe (PrEP).

 

Historisch tief: Die HIV-Neudiagnosen in der Schweiz sind 2020 erstmals unter die Grenze von 300 Ansteckungen pro Jahr auf 290 gesunken. Grafik: BAG Bulletin 48 (2021).

Historisch tief: Die HIV-Neudiagnosen in der Schweiz sind 2020 erstmals unter die Grenze von 300 Ansteckungen pro Jahr auf 290 gesunken. Grafik: BAG Bulletin 48 (2021).

 

Corona-Pandemie: Einfluss auf HIV-/STI-Neudiagnosen?

PD Dr. med. Dominique L. Braun, Oberarzt an der Klinik für Infektionskrankheiten und Spitalhygiene des Universitätsspitals Zürich (USZ), sagt dazu anlässlich des HIV-Updates der Aids-Hilfe Schweiz: «Die Pandemie hatte einen Einfluss, der sich noch nicht genau verorten lässt.» Am Universitätsspital Zürich gab es deutlich weniger HIV-Neudiagnosen im Vergleich zu den Vorjahren. Beim Checkpoint Zürich sah die Lage wieder anders aus: Dort gab es wöchentlich eine HIV-Neudiagnose.

Bei den STI-Diagnosen lagen die beobachteten Fallzahlen ebenfalls unter den zu erwarteten Fallzahlen (s. Grafik). Dies könnte ein Indiz dafür sein, dass die Corona-Pandemie einen Einfluss auf die HIV-/STI-Ansteckungen hatte. Die möglichen Gründe dafür:

  • weniger häufige Tests bzw. Zurückhaltung beim Aufsuchen von medizinischen Einrichtungen
  • verschobene Präventionskampagnen wegen der Pandemiemassnahmen
  • allgemein weniger soziale Kontakte und damit weniger sexuelle Risikosituationen als vor der Pandemie
  • temporäre Schliessungen von Bordellen und Clubs

 

HIV-/STI-Neudiagnosen 2020

HIV-/STI-Neudiagnosen 2020. Grafik: BAG Bulletin 48 in HIV-Update von PD Dr. med. Dominique L. Braun (USZ) vom 15. März 2022.

 

 

Männer am meisten von HIV betroffen

79 Prozent aller gemeldeten HIV-Fälle in der Schweiz betrafen im Jahr 2020 Männer. Dabei war Sex mit anderen Männern (MSM) der meist genannte Ansteckungsweg mit 50,8 Prozent. An zweiter Stelle standen heterosexuelle Kontakte mit 26,5 Prozent. Bei 2,2 Prozent der HIV-Diagnosen war das Benutzen von kontaminiertem Spritzbesteck bei intravenösem Drogenkonsum (IDU) der Grund für die Ansteckung. Bei rund 20 Prozent der HIV-Diagnosen bei Männern liess sich der Ansteckungsweg nicht ermitteln.

Die HIV-Infektionen bei den Frauen erfolgten mit 69,6 Prozent hauptsächlich über heterosexuelle Kontakte. Die anderen 30,4 Prozent liessen sich nicht ergründen.

 

HIV-Neudiagnosen 2020 bei Männern und Frauen

HIV-Neudiagnosen 2020 bei Männern und Frauen. Erklärung zu Abkürzungen: MSM: Männer, die mit Männern Sex haben. IDU: intravenous drug user (= intravenöser Drogenkonsum). Grafik: BAG Bulletin 48 in HIV-Update von PD Dr. med. Dominique L. Braun (USZ) vom 15. März 2022.

 

Rückgang der HIV-Infektionen dank HIV-Therapie und PrEP

In der Schweiz sind rund 17’100 Menschen mit HIV infiziert. Davon kennen 93 Prozent ihre Diagnose. 98 Prozent der Personen mit HIV-Diagnose erhalten eine medikamentöse HIV-Therapie. Von denen wiederum haben 96 Prozent eine Viruslast unter der Nachweisgrenze. Sie geben das Virus also nicht mehr weiter. Die Schweiz liegt damit im weltweiten Vergleich weit vorn und hat das WHO-Ziel 90-90-90* übertroffen.

*WHO-Ziel bis 2020:

  • 90 Prozent aller Infizierten kennen ihre HIV-Diagnose
  • 90 Prozent aller diagnostizierten Personen erhalten eine HIV-Therapie
  • 90 Prozent aller therapierten Personen sind unter der Nachweisgrenze und geben das Virus nicht mehr weiter
HIV-Kaskade. Grafik: BAG Bulletin 48 (2021).

HIV-Kaskade: Anzahl infizierter, diagnostizierter und therapierter Personen bzw. Personen unter der der Nachweisgrenze. Grafik: BAG Bulletin 48 (2021).

 

Auch die PrEP (= orale HIV-Chemoprophylaxe) hat zur Abnahme der HIV-Neudiagnosen beigetragen: Ende 2020 nahmen mindestens 3000 Personen, überwiegend MSM, die PrEP als Schutz vor HIV. Der Blick nach London, wo die PrEP länger im Einsatz ist, lässt auf weiter sinkende HIV-Infektionen bei MSM hoffen: Demnach sind dank der PrEP die HIV-Infektionen bei MSM zwischen Oktober 2015 und September 2017 um 90 Prozent zurückgegangen. Und das bei gleichbleibender Anzahl HIV-Tests (s. Grafik). Aufgrund dieser Erfahrungen ist in der Schweiz auch für die kommenden Jahre ein rückläufiger Trend von HIV-Infektionen zu erwarten.

HIV-Neudiagnosen bei MSM in London: 90%iger Rückgang dank der PrEP. Grafik: HIV-Update von PD Dr. med. Dominique L. Braun (USZ) vom 15. März 2022.

HIV-Neudiagnosen bei MSM in London: 90%iger Rückgang dank der PrEP. Grafik: aidsmap.com in HIV-Update von PD Dr. med. Dominique L. Braun (USZ) vom 15. März 2022.

 

 

Langzeitinjektion für HIV-Therapie und PrEP in Sicht

Einen weiteren Meilenstein in der HIV-Therapie bedeuten Long-Acting-Medikamente: Das sind Medikamentendepots, die in Kombination von Tabletten und Langzeitinjektionen aufgebaut werden. So müssen HIV-Patient*innen nicht mehr täglich ihre Medikamente einnehmen. Dies könnte die Stigmatisierung in Zusammenhang mit der täglichen Medikamenteneinnahme reduzieren oder in vulnerablen Patientenpopulationen zu einer besseren Therapietreue führen.

Bei der Long-Acting-Therapie nehmen HIV-Patient*innen während eines Monats täglich zwei HIV-Medikamente oral ein. Im zweiten und dritten Monat erfolgt die Medikamentenabgabe der beiden Substanzen mittels Langzeitinjektion intramuskulär in den Gesässmuskel. Dieses Medikamentendepot wird danach alle zwei Monate aufgefrischt und erfordert eine genaue Planung. Denn das Zeitfenster für die Auffrischungsinjektion beträgt plus oder minus sieben Tage: Wer z. B. die letzte Langzeitinjektion am 15. April bekommt, kann die Auffrischung zwei Monate später zwischen dem 8. und 22. Juni vornehmen.

Gute Neuigkeiten betreffend Langzeitinjektionen gibt es auch bei der PrEP: Die Studie «HPTN 083» aus den USA zeigte gegenüber der täglichen Einnahme der PrEP eine signifikant höhere Wirksamkeit zur Risikoreduktion einer neuen HIV-Infektion. Das Risiko einer HIV-Infektion bestand hauptsächlich in der tiefen Therapietreue der Vergleichsgruppe (= unkorrekte PrEP-Einnahme). Somit spricht vieles für eine HIV-PrEP durch Langzeitinjektionen. Die Zulassung hierzu steht noch aus.

 

Warum eine HIV-Impfung-/Heilung noch nicht möglich ist

Im Zuge der raschen Impfstoffentwicklung während der Corona-Pandemie hat sich die breite Öffentlichkeit gefragt, ob dies auch im Falle von HIV möglich sei. Leider ist dies nicht der Fall, auch nicht in den nächsten fünf bis zehn Jahren. Denn das HI-Virus unterscheidet sich stark vom Coronavirus: Das HI-Virus mutiert sehr rasch und hat dadurch eine hohe genetische Vielfalt. Ausserdem versteckt es sich gut vor den Antikörpern. Zwar ermöglicht die mRNA-Technologie eine rasche Anpassung samt Studien und Produktion von Impfstoffen. Aber die Grundproblematik des komplexen HI-Virus löst sie dennoch nicht. Und: Das menschliche Immunsystem produziert bei HIV breit neutralisierende Antikörper nur sehr selten und wenn, dann erst spät. Ungelöst bleibt auch das ethische Dilemma, dass in HIV-Impfstudien keine Placebo-Gruppe eingeschlossen werden kann, um die genaue Wirksamkeit der Impfung ermitteln zu können.

Momentan gilt: Je früher eine HIV-Therapie beginnt, steigt mit zunehmendem medizinischen Fortschritt auch die Chance auf eine Heilung. Denn die Forschung bleibt weiterhin am Ball: Neben neuen Substanzklassen beschäftigt sie sich mit Therapieformen von breit neutralisierenden Antikörpern, Stammzelltransplantationen oder Genome Editing (Genscherenprinzip).

Quellen: BAG Bulletin 48 (2021), HIV-Update AHS Academy: Präsentation von PD Dr. med. Dominique L. Braun.

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